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Geschwärzt. Feldmanns „Haremsdame“.

©  Hans-Peter Feldmann/Courtesy Mehdi Chouakri, Berlin

Hans-Peter Feldmann im Amerika-Haus: Der Alltagszauberkünstler

Serienjunkie: Der Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann präsentiert bei C/O Berlin eine Retrospektive seiner Fotoreihen.

Henri Matisse wurde einst gefragt, ob er eine Tomate beim Essen genauso betrachte wie beim Malen derselben. Der Künstler verneinte: „Wenn ich eine Tomate esse, sehe ich sie wie jedermann.“ Wahrscheinlich ergeht es auch Hans-Peter Feldmann so. An den Wänden der Fotogalerie C/O Berlin hängen Aufnahmen riesenhafter Brotscheiben oder „Ein Pfund Erdbeeren“, verteilt auf 34 Einzelfotos, regelrechte Porträts. Die Früchte erfahren eine Aufmerksamkeit, die sie an einem Obststand nie erfahren hätten.

Ähnlich ergeht es dem Besucher mit Feldmanns Foto-Kollektionen von Frauenbeinen oder Vinylplatten. Gewiss, man kann daraus seine Schlüsse ziehen: Der Künstler findet Frauen offenbar anziehender als Männer, und man weiß nun, welche Musik er mag. Das aber ist nachrangig. Spannend werden die Aufnahmen durch den Rezeptionsprozess, durch das, was die Betrachter mit den Werken anstellen. Feldmann zeigt uns Alltagsdinge, wie wir sie sonst nie betrachtet hätten.

Fotografie ist ein weites Feld. Die ganze Spannweite präsentiert sich derzeit im Amerika-Haus: Stilvolles in der „Allure“-Ausstellung aus der Sammlung Susanne von Meiss kontrastiert mit der auf andere Weise faszinierenden Banalitätenschau in den oberen Räumen von C/O Berlin. Als Konzeptkünstler geht es Feldmann, 1941 in Düsseldorf geboren, kaum um das Schöne. Überhaupt macht er kein Aufhebens um seine Kunst. Er datiert und signiert seine Arbeiten nicht, den Kunstmarkt sieht er kritisch. „Hell erstrahlen alle Mienen / bei dem schönen Wort verdienen“ – diese ätzenden Zeilen trug er während der Art Cologne 2015 auf einem Schild durch die Messehallen.

„Fotografieausstellung“ ist die Berliner Feldmann-Retrospektive überschrieben, bestimmte Bereiche seines Werks bleiben ausgespart, darunter seine legendären Skulpturen und Installationen. Ende 2012 bespielte Feldmann die gesamte Halle der Neuen Nationalgalerie mit einer einzigen Vitrine, in der sich eine grell bemalte Replik der Nofretete-Büste befand. Besonders unverschämt: In seiner Trashversion schielte die Königin. Der Künstler begreift sich weniger als Schöpfer neuer Werke, er findet sie. Die Bilder sind schon da – egal, ob man ihnen nun Kunst- oder Kitschcharakter beimisst. Daher besitzen Fotos für Feldmann einen besonderen Wert. Sie sind von vornherein Reproduktionen. Gerade durch ihre Beiläufigkeit gewinnen sie an Bedeutung.

Während im Erdgeschoss, in der Meiss-Kollektion, raffiniert komponierte Bilder zu bestaunen sind, erlebt der Ausstellungsbesucher bei Feldmann genau das Gegenteil. Nicht Stil oder Eleganz zählt hier. So unterschiedlich die Bildwelten der bei „Allure“ vertretenen Künstler auch wirken, Diane Arbus, Nan Goldin, Peter Lindbergh oder Juergen Teller, ihre Schöpfer sind alle genuine Fotografen, Bilderzauberer. Feldmann dagegen ist zuerst Bildersammler. Mit seinen Aufnahmen holt er die realen Objekte in den Kunstraum. Plötzlich ist das Gewicht der Dinge zu spüren.

Vierzig Jahre führte Fekdmann einen Antiquitätenladen, heute ist er im Lenbachhaus ein Kunstobjekt

Die Liebe zum Objekt kommt nicht von ungefähr. 1975 eröffnete er in der Düsseldorfer Altstadt ein Antiquitätengeschäft. In den Achtzigern zog er sich vorübergehend ganz aus der Kunstwelt zurück, um sich seinem Laden zu widmen, in dem es Fingerhüte, Plattenkameras, Blechspielzeug zu kaufen gab. Mit einer Ausstellung im Frankfurter Portikus feierte Feldmann 1989 sein Comeback. 2015 schloss er den Laden und übergab ihn dem Münchner Lenbachhaus als Dauerleihgabe, wo er inzwischen als Installation aus 1001 Objekten präsentiert wird.

Bei Feldmann mischen sich die Disziplinen. Fotografien werden zu Collagen weiterverarbeitet oder in Künstlerbüchern aufgereiht. Bei einer Reihe gefundener Porträtfotos hat er Gesichter oder ganze Personen herausgeschnitten. In den Bildern klaffen buchstäblich Löcher, die der Betrachter mit eigenen Vorstellungen füllen kann. Der Künstler arbeitet hier wie ein Bildhauer, der seinem Stein nichts hinzufügt, sondern aus ihm ein Stück herausschlägt.

Wer mit Fotografie arbeitet, reflektiert die Zeit. Das zeigt die Feldmann-Retro sehr genau. Aus den Siebzigern stammen seine „Zeitserien“, Aufnahmen einzelner Bewegungsphasen. Die Serie „100 Jahre“ wiederum besteht aus 101 Porträts, die der Künstler von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten gemacht hat. Alle schauen direkt in die Kamera: von der acht Wochen alten Felina bis zur 100-jährigen Maria Victoria. Die Personen, von denen wir jeweils Alter und Vornamen erfahren, sind sachlich in Schwarz-Weiß fotografiert, ein Bezug auf den großen Porträtisten August Sander zeigt sich hier. Da es sich nicht um bekannte Personen handelt, mögen die Einzelbilder für Außenstehende wenig interessant erscheinen. Aber wie so oft bei Feldmann steckt die Kraft im seriellen Charakter des Werks und in der Idee. Auch in den Serien wie „Autoradios, während gute Musik spielt“ oder „Blicke aus Hotelzimmerfenstern“ triumphiert am Ende ein starker Gedanke über die Dürftigkeit des Einzelbildes.

„Alle Kleider einer Frau“ zählt zu den obsessivsten Werken der Schau. Feldmann hat dafür den kompletten Inhalt eines Kleiderschranks abgelichtet. Ob es sich womöglich um einen Nachlass, die Kleider einer Toten, das Opfer eines Verbrechens handelt, bleibt ungewiss. Und: Müssen wir dem Titel Glauben schenken? Vielleicht hat der Künstler in verschiedene Schränke geguckt, mehrere abwesende Frauen zu einem Gespenst komplettiert. Wir haben keine Ahnung. Aber, Feldmann sei Dank, viele Ideen dazu.

Bis 10. Juli, C/O Berlin, Amerika-Haus, Hardenbergstr. 22–24, täglich 11–20 Uhr. Künstlerbuch 29,80 €.

Jens Hinrichsen

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