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Vorgezogener Festakt: Hans Pischner (2.v.r.) wird zum 100. geehrt

© Thomas Bartilla

Hans Pischner zum 100.: Träumer und Talenteschmied

Er sei "träumende Galionsfigur" der DDR gewesen, gibt Hans Pischner selbstkritisch zu - und dennoch ging der langjährigen Staatsopern-Intendanten auch immer seinen eigenen Weg. Am Donnerstag wurde Pischner 100 Jahre alt.

„Wenn man es verstand, auf der Klaviatur der – auch untereinander nicht selten uneinigen – Apparate zu spielen, nicht zu viele Fragen zu stellen und damit unerwünschte Antworten zu provozieren, gab es Möglichkeiten, kunstfeindliche politische Strangulierungen zu unterlaufen, dem Gesinnungsterror zu entkommen“, schreibt Hans Pischner in seiner 2006 erschienene Autobiografie „Tasten, Taten, Träume. Musik und Politik zwischen Utopie und Realität“. In seiner Zeit als Intendant der Staatsoper Unter den Linden hat er zwischen 1963 und 1984 so manche heikle Produktion an der offiziellen Parteizensur in den Spielplan geschummelt. Legendär ist sein Coup 1969, als er die satirische Oper „Die Nase“ des damals in der Sowjetunion unter „Formalismus“-Verdacht stehenden Dmitri Schostakowitsch aufführte – fünf Jahre, bevor das Werk wieder in Moskau gezeigt werden durfte. Auch vor den Uraufführungen von Paul Dessaus „Einstein“, „Leonce und Lena“ und „Lancelot“ galt es Hürden zu überwinden. Gleichzeitig allerdings gesteht sich Pischner in seiner Autobiografie auch offen ein, dass er sich als „träumende Galionsfigur“ oft vom System hat missbrauchen lassen. In den Jahren 1977–90 leitete er als Präsident den Kulturbund der DDR, von 1981–89 war er Mitglied im Zentralkomitee der SED.

Pischner macht Karriere in der DDR - auch wenn er zur "Galionsfigur" wird

1914 wird Hans Pischner in eine musikbegeisterte Familie hineingeboren. Er wächst in Breslau auf, lernt zunächst das Handwerk des Vaters, der sein Geld als Klavierstimmer verdient, studiert dann Tasteninstrumente an der Hochschule seiner Heimatstadt wie auch in Berlin. Rasch erwirbt er sich einen Namen als Cembalovirtuose, wobei er seine Auftritte selber managt. Für den Oktober 1938 kann der 24-Jährige sein Konzertdebüt in der Reichshauptstadt ankündigen, im Meistersaal an der Köthener Straße. Gleich mit Kriegsbeginn aber wird Pischner dann eingezogen, gerät in sowjetische Gefangenschaft, erhält im Lager Taliza antifaschistischen Unterricht. Nach dem Krieg entscheidet er sich für ein Leben in der DDR – aus dem Schuldgefühl, angesichts des NS-Unrechts vor seinen Augen als Nur-Künstler wie auf einer Insel der Seligen gelebt und bis zum bitteren Ende mitgemacht zu haben, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt.

Pischner lässt sich von der Aufbruchstimmung mitreißen, macht schnell Karriere im sozialistischen Staat: Er wird Musikverantwortlicher beim DDR-Rundfunk, wechselt als Abteilungsleiter ins Kulturministerium, wird stellvertretender Minister. 1963, als Staatsopern-Intendant Max Burghardt wenige Monate nach dem Tod des Generalmusikdirektors Franz Konwitschny erschöpft demissioniert, bietet man Pischner die Position an. Es werden die beiden erfülltesten Jahrzehnte seines Lebens.

Bevor der neue Hausherr allerdings eine eigene künstlerische Handschrift entwickeln kann, muss er sich mit praktischen Problemen herumschlagen: Durch den Mauerbau ist dem Haus ein Großteil des Publikums weggebrochen. Mit populären Titeln und der Mithilfe seines Ensembles, das werbend durch Großbetriebe und Schulen tingelt, werden die Ränge wieder gefüllt, mit dem österreichischen Dirigenten Otmar Suitner kann Pischner einen hochkarätigen Musikchef aus Dresden abwerben. Als feste Regisseure engagiert er Erhardd Fischer und später Horst Bonnet, Harry Kupfer gibt Unter den Linden sein Berlin-Debüt, Ruth Berghaus realisiert eine ganze Reihe wegweisender Inszenierungen, von denen sich Rossinis „Barbier von Sevilla“ bis heute im Repertoire gehalten hat.

Auch nach seinem Abgang bleibt Pischner der Staatsoper treu

Die Verlockungen, die Gastspiele im kapitalistischen Ausland den besten Sängern der DDR bieten, machen es Pischner nicht leichter, ein homogenes, hochkarätiges Ensemble aufzubauen. Doch er beweist ein glückliches Händchen bei der Auswahl junger Talente. 1965 nimmt er die Italienerin Celestina Casapietra unter Vertrag, die schnell zur Hausdiva wird. Zu den Stars gehörten natürlich auch Anna Tomowa-Sintow, Peter Schreier, Siegfried Vogel oder Theo Adam, der später auch gerne Unter den Linden inszenierte. Zu den Sängern, die unter Pischner im Ensemble groß werden, gehören Brigitte Eisenfeld, die 1974 hinzukommt, Uta Priew (ab 1980) oder auch Reiner Goldberg (ab 1981). Der Aufstieg der Staatskapelle zum geschätzten Orchester beginnt in der Ära Pischner, der als studierter Musiker weiß, wie fruchtbar sich die Beschäftigung mit Sinfonik auf die Arbeit im Orchestergraben auswirkt.

Pischner selber hat auch während seiner Staatsopern-Jahre stets Zeit fürs eigene Musizieren gefunden, hat Konzerte gegeben und Schallplatten aufgenommen, unter anderem als Partner von David Oistrach. Ohne die Musik von Johann Sebastian Bach und sein geliebtes Cembalo, sagt er später, hätte er es am Schreibtisch einfach nicht ausgehalten.

Der Staatsoper ist Hans Pischner auch nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden 1984 treu geblieben. Regelmäßig schaut er vorbei, auch im Ausweichquartier des Schillertheaters – optisch mittlerweile eine zerbrechliche Erscheinung, aber geistig hellwach. Bei der vorgezogenen Feierstunde im Schillertheater anlässlich seines heutigen 100. Geburtstags erklärte Intendant Jürgen Flimm, ohne seinen Vor-Vor-Vor-Vorgänger gäbe es keine Premiere: „Er kommt immer um die Ecke und lobt uns.“

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