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Harald Tribune: Pop and Circumstance

Martenstein hat eine geniale Geschäftsidee

Die Pressekonferenz der Rolling Stones wird als die Mutter aller Pressekonferenzen in die Geschichte eingehen. Sie sollte um 15.10 Uhr beginnen, um 14 Uhr wurde der Saal wegen Überfüllung geschlossen. Um 14 Uhr aber endete gerade die Vorführung von „Shine a Light“. Für diejenigen, die sich den Stones-Film von Martin Scorsese angeschaut hatten, ist es folglich unmöglich gewesen, hineinzukommen.

Es war dies die erste Pressekonferenz in der Geschichte der europäischen Filmfestivals, in der kein einziger Mensch saß, der den Film gesehen hatte. Verzweifelte Fernsehteams, die nicht reingekommen waren, filmten draußen die Videowand ab. Das wird jetzt in Kolumbien als Live-Original-Aufnahme verkauft, und in Deutschland macht Norbert Bolz eine neue Medientheorie daraus.

Ich habe es mir im Internet angeschaut. Alles lief gespenstischerweise genau wie immer. Kritiker fragten: „Wie war es, mit Scorsese zu arbeiten?“ Die Rolling Stones antworteten: „Hm, mal nachdenken. Also, es hat Spaß gemacht.“ Man könnte also ohne weiteres ein Filmfestival veranstalten, in dem überhaupt keine Filme mehr gezeigt werden, stattdessen laufen nur Pressekonferenzen mit Popstars, zu fiktiven Filmen, etwa Detlev Buck über Grönemeyer oder Mike Leigh über Amy Winehouse. Vielleicht sollte ich dieses Veranstaltungskonzept Klaus- Peter Wodarz anbieten, unter dem Titel „Film, Pop and Circumstance“. Am Abend, vorm Berlinale-Palast, stand ich in einer Gruppe aus älteren Berlinern und Japanern. Martin Scorsese kam an. Eine Frau sagte: „Kuck ma, Woody Allen is auch da!“ Ihr Mann sagte: „Quatsch, Woody Allen is doch längst tot.“ Das liegt alles am Berliner Bildungssystem. Nun aber mischte sich ein Japaner ein, in flüssigem Deutsch. Er sagte: „Nein, das ist Martin Scorsese.“ Darauf die Frau: „Ja, klar, jetzt erkenne ich den, det ist dieser Franzose.“ Ich stieg in ein Taxi. Ich fragte den Fahrer: „Haben Sie während der Berlinale mehr zu tun als sonst?“ Der Fahrer sagte: „Die Berlinale ist gar nichts gegen die Food-Logistiker. Aufm Messegelände tagen 40 000 Food-Logistiker. Sagense bloß, Sie wissen das nicht.“ Ich schwieg.

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