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Kultur: Hart am Wind

Was sind Piraten? Eine kleine Wortkunde

Unter griechischer Flagge, als peirataí, tauchen die Seeräuber im 2. Jahrhundert v. Chr. bei dem Historiker Polybios am Horizont der Wortgeschichte auf. Als griechischstämmige piratae erscheinen sie im klassischen Latein, und dergestalt griechisch, als „Piraten“, gibt es sie bis heute in den Neuen Sprachen. Ein feiner Unterschied: Der Feld-Wald-und-Wiesen-Räuber räubert auf dem festen Land; der Pirat räubert auf hoher See oder neuerdings als Luftpirat hoch in der Luft (und der Berliner Politpirat querfeldein in der Parteienlandschaft). Wir sprechen von „Seeräubern“, aber nicht von „Landpiraten“, als sei Räuberei zu Lande und zur See, aber Piraterie einzig draußen auf dem Meer zu denken.

Dabei sagt das griechische Wort nichts vom nassen Element. Peíra bedeutet „Probe, Versuch“ und meint die Probe, die ein Kämpfer mit seinem Gegner anstellt: ob er sich wohl als der Stärkere erweist. Oder den Versuch, den ein Mensch mit einem anderen macht: ob er sich wohl auf ihn verlassen kann. Das Verb dazu ist peirásthai, „versuchen“; auch wir sagen ja, dass Kämpfer es miteinander probieren oder dass man es mit jemandem versuchen wolle. Peíra, das ist auch die Probe, die ein Räuber mit seinem Opfer macht: ob er wohl zu seiner Beute kommt. Die Endsilbe -tes bezeichnet den Professionellen. Der peiratés ist also der Räuber, der es immer wieder probiert, es immer wieder aufs Neue wissen will. Da klingt die Erinnerung an athletische Wettkämpfe an, und es schwingt eine leise Bewunderung mit für diese abenteuerlustigen Piraten, die sich selbst auf schwankenden Planken ans Räubern machen.

Von der peíra ist es nicht weit zum émpeiros, dem „Erfahrenen“ und zur empeiría, der Erfahrung, der Empirie. Im Lateinischen ist der Weg etwas weiter, zum Verb ex-periri, das ein ausschöpfendes Versuchen und Erfahren bezeichnet, mit dem Partizip expertus für den doppelt gemoppelten „erfahrenen Experten“. Zu Neros Zeiten wurde davon das Substantiv experimentum abgeleitet, das Experiment als „Mittel, etwas in Erfahrung zu bringen“. Und dann ist da noch das Substantiv periculum, das seine Bedeutung bereits im klassischen Latein vom „Versuch“ zur „Gefahr“ verschoben hat. Das italienische pericolo, das französische péril, das englische peril haben nur noch die Gefahr im Blick.

In Homers „Odyssee“ will Odysseus mit ebenjenem Verb peirásthai den Versuch wagen, ob die menschenfressenden Kyklopen wohl das Gastrecht scheuen und ein Gastgeschenk erwidern. Gleich darauf will der Kyklop Odysseus mit dem gleichen Verb auf die Probe stellen, ob er wohl unbedacht genug ist, ihm den Liegeplatz seines Schiffes zu verraten. Da blitzt die typisch griechische Freude an der peíra auf, am Versuchen und Erkunden, am SichMessen und -Vergleichen. Wir wissen, wie das Experiment ausgegangen ist: Der Menschenfresser frisst sechs Griechen, aber am Ende hat er das Nachsehen.

Versuch und Erfahrung, Versuch und Gefahr, Experiment und Empirie, Piraten und Experten: ein interessantes Wörternest, das sich da um die griechische peíra und ihre lateinischen Verwandten angesammelt hat. Wer weiß, vielleicht werden die erfahrungslustigen Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus sich locker mit den Profis messen können, und die erfahrenen Politiker werden zu noch erfahreneren Experten werden. Übrigens: Dass die Erfahrung und die Gefahr im Deutschen vom Fahren kommt, vom Unterwegssein in der Fremde, ist ein weiteres feines Beispiel für Lebensklugheit in Lexikonspalten. Klaus Bartels

Der Autor ist Altphilologe und hat zahlreiche Bücher über griechische und lateinische Wortgeschichte(n) verfasst. Soeben erschienen; „Jahrtausendworte, in die Gegenwart gesprochen“, eine Zitatensammlung, ausgewählt, übersetzt und vorgestellt von Klaus Bartels, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2011, 200 S., 19,90 €

Klaus Bartels

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