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Kultur: Hau den Wicht

SAMMLUNG OLBRICHT Thomas Schütte präsentiert sich im Me Collectors Room als Universalkünstler.

Was ist sie nun? Eine elegante Dame? Oder ein überdimensionales Hähnchen, die Schenkel saftig, die Flügel angewinkelt? Immer wieder springt das Bild hin und her bei der „Bronzefrau III“, die der Bildhauer in dynamischer Bewegung mit zwitterhaften Formen gestaltet hat. Die Skulptur ist in der Einzelausstellung „Schöne Grüße Thomas Schütte“ im me Collectors-Room zentral positioniert. Das passt. Denn in der Biegsamen vereinen sich die Widersprüche im Werk des Künstlers, das von Plastik über Radierung bis Aquarell alles kennt. Schütte selbst sieht sich nicht in einer Linie mit den großen Meistern, aber seine Bildhauerei erinnert an Aristide Maillol oder Honoré Daumier. Die vermeintliche kunstgeschichtliche Kontinuität lässt aber auch Humor zu. Siehe Hähnchen.

Siehe auch das grafische Werk, das in dieser Ausstellung die Hauptrolle spielt. Welcher Künstler macht sich schon ernsthaft an Blumen, ohne unter den Verdacht der Oberflächlichkeit zu geraten? Der Düsseldorfer nennt sein Lithografie-Mappenwerk „Silly Lillys“. Und rahmt auch jene Bütten-Blätter, die offensichtlich missraten sind. „Falsch“ steht etwa unter zwei Lilien. Schütte, Gewinner des Goldenen Löwen auf der Venedig-Biennale 2005, eignete sich das traditionsreiche Druckverfahren an, ohne sich vorher Gedanken über die Technik gemacht zu haben.

Über das Fehlerhafte äußert sich Schütte immer wieder. So spricht er davon, „Kunst zuzulassen“. Der 59-Jährige ist ein schöpfender Künstler im klassischen Sinne, auch wenn er mittlerweile seine Plastiken mithilfe von Scannern und Laserschnitt vom Modell zur monumentalen Größe hochrechnen lässt. Am Anfang steht die Arbeit mit dem Material und den Händen. Schütte knetet, formt und ritzt. In einem Regal präsentiert er zwölf Keramik-Batzen. Sie alle waren einmal als Modelle für seine großen Bronze- und Stahlfiguren gedacht, offensichtlich aber nicht gelungen. Einigen sieht man die Faust, die den Entwurf auf einen Schlag zunichte machte, förmlich an. Gebrannt und glasiert werden sie für Schütte dennoch ausstellungswürdig. Schüttes Lust am Figurativen ist eine Reaktion auf seine Studentenzeit in den Achtzigern an der Düsseldorfer Kunstakademie, als Konzeptkunst und Performance dominierten.

Die Schau eröffnet anlässlich der Berlin Art Week und reiht sich ein in einen wahren Schütte-Herbst. In der Kunsthalle Mainz werden seine Arbeiten für den öffentlichen Raum mit denen des jungen Vietnamesen Danh Vo gepaart. Demnächst eröffnen weitere Einzelausstellungen im Essener Museum Folkwang, in der Fondation Beyeler in Basel und im Kunstmuseum Luzern. Im „me Collectors-Room“ speist sich alles aus Stücken der privaten Sammlung Thomas Olbrichts und ergibt ein erstaunlich vollständiges Bild des Oeuvres, sieht man von Schüttes Architekturmodellen ab, die fehlen. Dafür hängen gleich im Eingangsbereich neun großformatige „Woodcuts“ von 2011, die bisher in Deutschland noch nicht gezeigt wurden. Schütte hat hier frühere Lackmalereien mit dem Titel „Die Burg“ noch einmal in Drucktechnik umgesetzt und dazu Holzbretter und Spanplatten eingefärbt, wie Puzzleteile zusammengefügt und mit einer tonnenschweren Walze auf Papier gedrückt. Maserungen und Fasern sind deutlich sichtbar. Die Motive sind schematische Darstellungen einer Festung, mit langer Tafel, Fahnenstange und Spitzbogenfenster. Auf den ersten Blick haben diese nüchternen Drucke nichts mit den grotesken „Wichte“-Bronzen zu tun, die ebenfalls zu sehen sind. Aus ihren Gesichtern spricht Zorn, Einfalt, Eigensinn. Wenn man so will, sind auch das idealtypische Darstellungen. Nur, dass Schütte auf der Suche nach dem Menschlichen war. Der Zufall spielte mit, das sieht man an der groben Bearbeitung. Schütte ist ein Spieler. So wechselt er nicht nur zwischen den Materialien und Techniken. Wie es ihm beliebt, schrumpft und bläht er außerdem seine Skulpturen auf. In der Auguststraße steht eine Version des „Mann im Matsch“, ein Motiv, mit dem sich Schütte seit vielen Jahren beschäftigt. Die Figur ist so groß wie eine Spielfigur. Bis zu den Knien steckt sie im Modder. Die Miniatur-Plastik aus Wachs und Ruß ist eine Allegorie auf die zeitgenössische Kunst. Fortschritt gibt es nicht mehr. Die Avantgarde hat ausgedient. In der neuesten Fassung des Mannes im Matsch, einer sechs Meter hohen Monumental-Plastik, die Schütte 2009 in seiner Geburtsstadt Oldenburg aufstellte, trägt der Steckengebliebene eine Wünschelrute in der Hand. Pikanterweise steht er vor der Landessparkasse. Anna Pataczek

Me Collectors Room, Auguststr. 68, bis 23. 3. 2014; Di-So 12-18 Uhr.

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