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Kultur: Hauptsache Arbeit

Nach dem Verbot: Die Dresdner „Weber“ protestieren wieder – ohne ein Wort Hauptmann

Da gab es so viele Missverständnisse. Die Dresdner „Weber“-Inszenierung vom Oktober 2004 wurde vom Berliner Landgericht nicht etwa deswegen gestoppt, weil die Collage aus Hauptmanns Stück und aggressiven Kommentaren eines Dresdner „Bürgerchors“ volksverhetzend oder gewaltverherrlichend sei, wie manche Medien behaupteten. Das einstweilige Verbot erging, weil die massiven Eingriffe in das Drama zwischen Theater und Theaterverlag nicht eindeutig abgesprochen schienen.

Dresdens Staatsschauspiel geht in Berufung. In der Zwischenzeit lässt Regisseur Volker Lösch eine neue Variante des alten und neuen Skandalstücks spielen – „Die Weber“ als „Hommage an Hauptmann“, ohne ein Wort Gerhart Hauptmann. Auf den kruden Meinungsmix zu Arbeitslosigkeit und Freiheit, Utopie und gesellschaftlicher Misere wird freilich nicht verzichtet; im Gegenteil. Man kann den Versuch des Dramaturgen Stefan Schnabel und des Regisseurs Volker Lösch für gewagt halten, die Situation der hungernden schlesischen Weber im 19.Jahrhundert mit Arbeitslosen und Hartz-IV-Betroffenen heute gleichzusetzen. Doch das Theater hat damit einen Nerv getroffen.

Das zeigte sich auch nach der Premiere des jüngsten „Weber“-Streichs. Antworten auf die neuen sozialen Fragen werden nicht gegeben. Doch ein weit verbreitetes, nach Erklärungen und Handlungsanleitungen suchendes Protestgefühl findet ein Ventil, ein Podium. Statt Hauptmann hört man andere Stimmen aus dem 19. Jahrhundert, zum Beispiel Georg Weerth und Heinrich Heine.

Der Landgerichtsprozess wird mit satirischer Schärfe nachgespielt. Den Choristen, die aus Hauptmann sprechen wollen, verklebt man den Mund mit Tesafilm. Wütendes Hämmern gegen den Eisernen Vorhang ruft eine Figur herbei, die, angesprochen als Herr Zwanziger, an den Kapitalisten Dreißiger aus Hauptmanns Stück gemahnt, sich aber als Bundespräsident Horst Köhler entpuppt. Seine präsidiale Antrittsrede – Reformen, Reformen! – soll als kitschige Besänftigung mit falschem, hohlem Ton kenntlich gemacht werden, angesichts der realen sozialen Nöte und Ängste.

Der Abend ist eine Funken sprühende Zitaten-Montage. Wenn aus den ökonomisch-philosophischen Manuskripten von Karl Marx über das Wesen der Arbeit zitiert wird, tritt Peter Munck aus Wilhelm Hauffs Märchen „Das gläserne Herz“ auf und betet den Mammon an. Dagegen setzt das „Manifest der Glücklichen Arbeitslosen“ die Meinung, das Unglück des Arbeiters beruhe nicht auf dem Mangel an Arbeit, sondern an Geld. Und das Bier fließt in Strömen aus großen Krügen. Jemand, der behauptet, Hauptmann gekannt zu haben, kritisiert den „Sozialkitsch“; so nimmt man sich selbst dann doch nicht nur todernst.

Großartig das Nachspiel einer Sabine-Christiansen-Talkshow. Ihr Name wird hier nie erwähnt. Aber jeder im Theater weiß: Die TV-Moderatorin hatte ebenfalls gegen die Dresdner „Weber“ geklagt, da sie sich von Äußerungen des Weberchors bedroht fühlte. Man nimmt Originaltexte aus der Fernsehrunde, entlarvend sprachlos und klischeehaft. Was bei Hauptmann die Wohnung des Fabrikanten, ist hier ein goldener Wagen: Er wird zertrümmert.

Dieser Abend bietet keine theatralische Feinkost. Er arbeitet sich an der Frage ab, wie man mit Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit umgehen kann. Und für diese Auseinandersetzung sind viele theatralische und auch untheatralische Mittel recht. Hier geht es nicht um große Kunst, sondern um die großen Fragen des Alltags. Die „Dresdner Weber“ sind ein Beispiel bewegenden und intelligenten politischen Theaters.

Wieder am 26. und 27. Februar.

Hartmut Krug

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