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Kultur: Heilige Venus

Louvre des Nahen Ostens: Das Israel Museum in Jerusalem wird 40 und feiert die Aura des Schönen

Die schnurrbärtige Dame schaut mit einem berühmten rätselhaften Lächeln auf eine schöne Nackte, schaut hinweg über Götter, Beter und Geehrte. Auch über Jesus Christus. Wir sind in Jerusalem.

In einem schrägen Theater? Nein, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist nicht weit, und gleich nebenan liegen die Knesseth, Israels Parlament, und der Amtssitz des Ministerpräsidenten. Die frappierende Begegnung von Sex, Schönheit und Religion findet statt im Israel Museum, das unlängst erst in den deutschen Fokus gerückt ist. Denn es firmiert als Partner und Hauptleihgeber der im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigten Großausstellung „Die neuen Hebräer“.

Nun feiert das 1965 als Kunstcampus mit eleganten Pavillons des Architekten Al Mansfeld auf den Hügeln hoch über Jerusalem erbaute Israel Museum sein 40-jähriges Bestehen: als großes Schatzhaus der Weltkulturen. Anders nämlich, als es sein Name suggerieren könnte, beschränkt sich das von dem smarten Amerikaner James Snyder, einst Vizedirektor des New Yorker Museum of Modern Art, geleitete Staatsmuseum keineswegs auf Judaica. Zwar wird es zumeist mit dem als strahlend weiße Kuppel entworfenen „Shrine of the Book“ identifiziert: jenem im Park des Museums gelegenen Domizil der zweitausend Jahre alten Bibelschriften vom Toten Meer, zu denen auch die legendäre, nun im Gropius-Bau erstmals ausgestellte „Tempelrolle“ gehört.

Tatsächlich präsentiert sich die Sammlung von über 500000 Kunstwerken aller Zeiten und Kontinente als Mischung aus Louvre und Modern Art Museum des Nahen Ostens. Mit Bögen von der europäischen und asiatischen Antike bis zur präkolumbianischen Kunst, von der italienischen Renaissance bis zu Warhol oder Gerhard Richter. Trotz Intifada und Tourismus-Rückgang wird das Museum jährlich von 700000 Besuchern frequentiert. Einen verblüffenden Längsschnitt durch die Weltkunst zeigt nun auch die eingangs erwähnte Szene, mit der das Haus seine Jubiläumsausstellung eröffnet.

In einen schwarzen Flur sind neun Skulpturen unterschiedlicher Epochen und Kulturen hintereinander gestaffelt. Am Anfang leuchtet aus der Tiefe des Raums die „Venus von Beersheva“, eine in der Negev-Wüste gefundene, über 5000 Jahre alte winzige Figurine einer Schwangeren. Auf den weiblichen Fruchtbarkeitskult folgt eine archaisch starre Männerstatue im ägyptischen oder frühgriechischen Stil, die Variation eines antiken Kouros: freilich nachgeschaffen von dem in Deutschland geborenen, 1977 in Israel gestorbenen Bildhauer Itzhak Danziger. Hierzu kontrastieren eine steinzeitliche Maske, ein aztekisches Götterbild, eine afrikanische Reliquie und ein wunderbar schmerzlicher, zwischen Folter und Erlösung schwebender Christus aus dem Libanon der Kreuzfahrerzeit.

Diese gemischte Reihe läuft zu auf den Torso einer römischen Venus – und wendet man den Blick von der schönen Nackten, dann zeigt sich als amüsierte Betrachterin all ihrer Vor- und Nachfahren die madonnenhafte Mona Lisa. Freilich nicht in Leonardos Urbild, sondern in Marcel Duchamps surrealistischer Version mit dem aufgezeichneten Schnurrbart.

Das hat Witz. Und zerstreut auf Anhieb alle Bedenken gegen den Titel dieser Jubiläums-Ausstellung: „The Beauty of Sanctity“, die Schönheit des Heiligen. Hierbei könnte man frömmelnde Devotion oder nur sakrale Dekoration argwöhnen. Zumal im immer orthodoxer beherrschten Jerusalem, aus dem Künstler, Intellektuelle und Diplomaten jetzt mehr und mehr wegziehen Richtung Tel Aviv, wo neben dem Meer auch ein weltoffener Hedonismus lockt.

Schönheit und Heiligkeit, solch ein Spiel mit Ästhetik und Transzendenz wäre vor kurzem noch aus der Zeit gefallen. Aber mit den ökonomischen, klimatischen, fundamentalistischen Drohungen kehren die alten Geister zurück. Als gespenstische Drohungen – oder spirituelle Verheißung. Die Renaissance der Religion lässt inzwischen schon Molekularbiologen nach einem „Gottes-Gen“ forschen und Christoph Schlingensief demnächst an der Wiener Burg einen „Sadochrist Matthäus“ inszenieren. Nur Liebe und Hoffnung fehlen noch. Oder das Gute, Wahre, Schöne.

Letzteres hat jetzt der Direktor der nächsten Kasseler „Documenta“, Roger M. Buergel, versprochen: als Suche nach dem Urstoff der „Schönen Künste“. Ein Thema, das die Ausstellung „Über Schönheit“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit ihren zufälligen, zweitrangigen Werken erst kürzlich verfehlt hat.

Ob Modernismen oder Fundamentalismus – gegenüber beiden wirkt die „Schönheit des Heiligen“ im Israel Museum als Gegenentwurf. Bereits die Ouvertüre der noch bis Anfang September gezeigten Ausstellung verblüfft mit ihrem Kontrast und Kontext von Venus, Christus und Madonna Lisa: weil sie die Kunst des Glaubens (und des ironischen Zweifels) sogleich mit der Erotik von Mythos, Ritus und religiösem Begehren verbindet.

Yigal Zalmona, Chefkurator des Museums und mitverantwortlich auch für die „Neuen Hebräer“ im Berliner Gropius-Bau, möchte mit „The Beauty of Sanctity“ etwas anderes als nur die vergangene Idealität des Anbetungswürdigen und Kunstschönen demonstrieren. Die Ausstellung untersucht, wie es sich über die Epochen hinweg mit der Aura von Kunstwerken verhält. Also mit etwas dem rational aufgeklärten Zeitgenossen radikal Fremden.

Aura heißt ja nicht Berühmtheit oder Glamour. Im Sinne Walter Benjamins meint sie jene einzigartige Essenz, die das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ als Preis der Moderne zu verlieren droht. Die Ambivalenz von Fortschritt, Tradition und Barbarei wird dabei aufgenommen mit Paul Klees kleiner Farbzeichnung des „Angelus Novus“. Sie war in Benjamins Besitz, gelangte über Gershom Scholem an das Israel Museum und ist durch Benjamins Deutung als „Engel der Geschichte“, welcher der Zukunft mit rückgewandtem Gesicht entgegenfliegt, zu einer Ikone der Kulturgeschichte geworden.

Die Ausstellung konfrontiert die fragile Klee-Zeichnung effektvoll mit Anselm Kiefers Großplastik eines abgestürzten Düsenjägers von 1989: auch er ein „Engel der Geschichte“, einer politischen, militärischen Zeitenwende. Solche Korrespondenzen, ohne didaktische Aufdringlichkeit präsentiert, versinnlichen das Ausstellungsthema. Von Poussin, Rubens oder Turner bis in die Gegenwart umspielen sie das Sakrale und Säkulare, ohne sich ins Nächstliegende zu ergeben. Also gibt es weder die ästhetisierende Erbauungsmalerei der Nazarener noch den pseudoreligiösen Sexkitsch einer Bettina Rheims. Stattdessen beispielsweise ein prachtvolles, der Schönheit, Keuschheit und verhüllenden Verführung gewidmetes nubisches Brautgewand – und eine nackte, embryonal zusammengekauerte, hoch an der Wand platzierte Frauenplastik, die „Lilith“ aus Pappmaché und Glas der Amerikanerin Kiki Smith.

Sämtliche Objekte entstammen der eigenen Sammlung. Hier ist das himmlische Jerusalem eine irdische Burg auf einer bunten, südbayrischen Synagogentafel aus dem frühen 19. Jahrhundert, die während der NS-Zeit nach Palästina geschmuggelt wurde. Schräg gegenüber zeigt René Magrittes surreales Gemälde „Das Schloss in den Pyrenäen“ ein kleines Chateau auf einem riesigen Felsen, der wie eine grau düstere Wolke über dem Meer schwebt. Das lässt sich in diesem Kontext als Verheißung lesen – auch christlich: Petrus, der Fels – und als erschlagende Drohung. Der mögliche Schrecken hat indes eine Form und Magie, das Schwere ist zugleich luftig, auratisch: ein schönes Bild. Von hier geht man weiter zur Abteilung „Vanishing Point“, die im Vergehenden die „verborgene Schönheit zeitgenössischer Kunst“ sucht.

Hier steht keine Venus mehr. Stattdessen Mark Wallingers junger Mann von heute, entblößt, kalkweiß wie ein Pantomime der Melancholie irgendwo in einer verlassenen Fußgängerzone. Auf dem Kopf eine Dornenkrone. Die Skulptur, die schon bei der Biennale in Venedig 2001 den britischen Pavillon dominierte, steht allein im großen, leeren Raum. In Jerusalem hat sie nun ihren wahren Platz gefunden. Heißt sie doch „Ecce Homo“.

The Beauty of Sanctity, Israel Museum, bis September. Infos: www.imj.org.il

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