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Kultur: Heiliger Schweiß

Philharmonie: Pierre Boulez und die Staatskapelle nehmen Mahlers Achte als sportive Herausforderung

Ein Konzert als gewaltiger Appetithappen: Pierre Boulez dirigiert Mahlers Achte, die er auch als Höhepunkt der Staatsopern-Festtage 2007 leiten wird. Heute noch als Solitär, im April nächsten Jahres eingebettet in eine Gesamtschau der Symphonien Mahlers, gestemmt an zehn Abenden von der Staatskapelle, am Pult Boulez und Barenboim. Zuletzt hatten sich die Berliner Festwochen 1999 an einen Mahler-Zyklus gewagt. Und ernteten ein bleiernes Festival inmitten einer Krise der Mahler-Interpretation. Der Außenseiter war durchgesetzt, fest ins Repertoire aller Spitzenorchester gerutscht, es gab keine Schlachten mehr zu schlagen. Von nun an „Mahler as usual“? Unvorstellbar bei einem Künstler, den es so sehr zum Bekenntnis drängte. Meine Zeit wird kommen, hatte der Verkannte einst gesagt. Dieser Ausspruch gilt fort, und er versieht seine Symphonien mit einem messianischen Siegel.

Daran rührt zurzeit niemand, auch Pierre Boulez nicht. Beeindruckend die nimmermüde Ökonomie, mit der der 81-Jährige die Musikflut in der Berliner Philharmonie bändigt. Flott schlägt er den ersten Teil, die Vertonung des Hymnus „Veni, creator spiritus“, herunter, distanziert und auf eine sanfte Weise über den technischen Schwierigkeiten der Musik schwebend. Dass er die Staatskapelle und das Riesenorgan aus Rundfunkchor, Staatsopernchor und Aurelius Sängerknaben mitunter abhängt, es bekümmert ihn nicht. Vielmehr soll das straff voranschreitende Musizieren eine klare Geisteshaltung zum Werk suggerieren. Das mag bei Boulez’ gezielt am Pathos vorbeieilendem Bayreuther „Parsifal“ eine wertvolle Aussage sein. Mahlers Achte hingegen verfehlt dieser Ansatz. Statt dem Scheitern in diesem großen Ausschwung des Glaubenwollens nachzulauschen, gipfelt der Pfingsthymnus im kollektiven Lärm.

Schweiß anstelle von heiligem Geist. Kontur gewinnt Boulez’ Dirigat im rein orchestralen Beginn des zweiten Teils: Die Schlagzahl nimmt ab, einzelne Stimmen werden interessant, eine große Einsamkeit erfüllt den Saal. Der rechte Grund für Mahlers Vertonung der Schlussszene von „Faust II“. Doch sobald die Chöre und Solisten auf den Plan treten, fällt Boulez zurück ins sportive Durchschlagen. Als ob er den Emotionen misstraut, die in der menschlichen Stimme liegen. Mahler aber hat ihr den Schlüssel zur Erlösung gegeben. So weit der Vorgeschmack. Im April 2007 folgt dann das gesamte Symphonien-Büffet. Vielleicht finden Boulez und Barenboim bis dahin ja Antworten auf die Frage: Was wollen wir eigentlich von Mahler?

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