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Kultur: "heimat.de": Deutschland, ein Planquadrat

Wanderer, der Du hier eintrittst, lass alle Hoffnungen fahren: So trostlos sehen die Fotografien aus, die Emanuel Raab unter dem Titel "heimat.de" im Künstlerhaus Bethanien ausstellt, dass der Betrachter sich mit Grausen abwendet.

Wanderer, der Du hier eintrittst, lass alle Hoffnungen fahren: So trostlos sehen die Fotografien aus, die Emanuel Raab unter dem Titel "heimat.de" im Künstlerhaus Bethanien ausstellt, dass der Betrachter sich mit Grausen abwendet. Nichtssagende Reihenhausfassaden, erbärmliche Interieurs, Schallschutzwände, Parkbänke und ausdrucklose Visagen reihen sich als Freak Show der Gewöhnlichkeit aneinander. Das soll Heimat sein? Womöglich unsere?

Leider ist es so. In den vergangenen zwei Jahren hat Raab in ganz Deutschland Impressionen gesammelt, um der Frage nachzugehen, wozu der Heimatbegriff im Zeitalter des grenzenlosen Cyberspace noch taugt. Seinen Befund ernüchternd zu nennen, wäre stark untertrieben. Das Land, das er mit der Kamera durchstreift, wirkt wie eine Kleinbürgerhölle, die an Tristesse nicht zu überbieten ist. Ob am Kottbusser Tor in Berlin oder in den Dörfern um Darmstadt: Raab sieht überall nur stereotype Fertigteilbauten, lieblos zusammengeschusterte Billig-Behausungen, deren Banalität zum bleigrauen Himmel schreit. Die Insassen dieser Wohnsilos lassen die Rollläden herunter, ziehen Zäune oder züchten Buchsbaumhecken. Kurz: Sie unternehmen alles, um sich in ihrer verriegelten, abgeschotteten Welt zu verbergen.

Im Inneren ihrer Wohnungen geht es keineswegs heimeliger zu. Vergilbte Tapeten mit schauderhaften Mustern, vertrocknete Topfpflanzen und zerschlissene Möbel verströmen einen stickigen Muff, den man förmlich zu riechen glaubt. Dieses Deutschland wird entweder von Ordnungsfanatikern bevölkert, die jeden Rasen zu abgezirkelten Planquadraten zurechtstutzen und jede Straße mit Leitsystemen versehen, oder von haltlosen Hausbesetzern, die ihre Kippen auf den Fußboden werfen und Batterien leerer Flaschen herumstehen lassen. Individualität kommt nur noch als graffiti tag vor, als hingekritzelte, unentzifferbare Hieroglyphe, die willkürlich auf Beton oder Parkbänke gesprüht wird. Kommen Menschen vor die Linse, schneidet ihnen der Fotograf meist Kopf oder Gliedmaßen ab, so dass die Torsi verloren und unbeholfen durch das Bild taumeln.

Auch sonst setzt Raab viele Gestaltungsvarianten ein, um sein Porträt einer Lebenswelt so abstoßend wie möglich zu machen. 70 Aufnahmen im DIN-A-4-Format, paarweise gehängt. Wenn der Blick nicht von Barrieren verstellt wird, inszeniert er sie hinzu, etwa indem er das Neue Kreuzberger Zentrum aus der vorbeifahrenden U-Bahn heraus ablichtet. Zudem arbeitet er mit Unschärfen, Über- oder Unterbelichtungen und wählt extreme Perspektiven, die jeden Eindruck eines humanen Maßes von vorneherein ausschließen. Seine Totalen oder Detailaufnahmen suggerieren ständig: Hier hat ein Mensch nichts zu suchen. Zugleich sind die monotonen Einfamilienhäuser, abweisenden Glaspaläste und brutalen Betonburgen, die Raab registriert, denkbar vertraut. Die Bundesrepublik zeigt sich von ihrer hässlichsten Seite: Als öde, mit gebautem Ramsch vollgestopfte Brachlandschaft.

Nun ist die Beobachtung nicht neu, dass die Regionen zersiedelt werden und Ballungsgebiete unkontrolliert wuchern. Alexander Mitscherlich klagte schon Mitte der sechziger Jahre über die "Unwirtlichkeit der Städte". Raabs Kommentar dazu besagt nur: Es hat sich nichts gebessert. Weiterhin manifestiert sich der Traum vom Eigenheim in gesichtslosen Allerweltsvororten, dominieren sterile Mehrzwecktürme aus Beton die Innenstädte, wird der Horizont der nivellierten Mittelstandsgesellschaft von Einkaufszentren, Imbissbuden und Schrebergärten begrenzt. Phänomene neueren Datums, etwa die angestrengt Gemütlichkeit heischende Ausstattung von Fußgängerzonen oder die bonbonbunte Illusionsarchitektur der Erlebnisindustrie, bleiben ausgeblendet. In ihrer Beschränkung auf die Motive einer traditionellen Kulturkritik gerät die Schau eigentümlich nostalgisch. Wie die Berufung auf "Heimat" es nahe legt.

Oliver Heilwagen

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