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Kultur: Heimat, deine Sterne

Wie tragisch kann ein Koch sein? Eine Begegnung mit dem Schauspieler Samuel Finzi

Man sollte sich nicht täuschen lassen. Das Unscheinbare der Erscheinung ist nur Tarnung und eigentlich praktisch. Denn wer auf den ersten Blick nicht auffällt, wird leicht übersehen. Und wer gern übersehen wird, kann umso wirkungsvoller überraschen. Der Schauspieler Samuel Finzi – ehemals Volksbühne, jetzt Deutsches Theater – betritt gemeinhin die Bühne, als würde er sich durch den Noteingang hereinschleichen. Dann steht er da, mehr schief als gerade, mehr zurückweichend als raumgreifend. Der ganze Finzi-Köper sagt: ich will hier weg! Aber er steht in der Bühnenmitte.

Allein dieser Widerspruch scheint Samuel Finzi so zu erfreuen, dass er diesen Moment erst einmal auskostet und genüsslich wartet. Finzi kratzt sich am angeklebten Tschechow-Bart (wie in „Iwanov“ an der Volksbühne). Finzi zupft sich am voluminösen Gesichtsverband (wie in „Volpone“ am Deutschen Theater). Finzi stellt seinen Koffer ab (wie in „Amphitryon“, ebenfalls am DT). Und guckt.

Finzi kann lange gucken. Doch dann weiten sich die Augen, staunend und bedrohlich, und ein irrwitziges, wandlungsreiches, überschäumendes Spiel setzt ein, ein Spiel, das zum Aufbrausen und zur Übertreibung neigt, aber (wenn es sein muss) auch vor der Einfühlung nicht zurückschreckt. Das aus einem Geist des Lauerns heraus plötzlich zur Explosion kommt und aus dem harmlos anmutenden Mann ein wütendes Rumpelstilzchen macht. Es liegt etwas großzügig Komödiantisches, halsbrecherisch Verschwenderisches, also fast schon gehässig Virtuoses in der Kunst des Samuel Finzi, die freilich jeden Moment wie eine lang herausgestreckte Zunge auch wieder eingezogen werden kann. Dann steht er wieder da, mit hängenden Schultern, den Blick gelangweilt ins Ungefähre gerichtet, als könne er kein Wässerchen trüben. Hat Schauspielerei eigentlich etwas mit Rache zu tun? Zumindest mit perfektem Timing und einer genießerischen, fast kulinarischen Lust an der Verwandlung, die einen glücklichen Kritiker einmal zu dem Ausruf verleitete, Finzi spiele nicht, sondern schlürfe seine Rollen. „Das Große Fressen“ heißt ein Abend an der Volksbühne, in der – neben Marc Hosemann, Herbert Fritsch und Milan Peschel, auch Samuel Finzi sehr viel Spaß hat.

Jetzt sitzt Samuel Finzi in der Kantine des Deutschen Theaters, hinter sich einen kurzen Mittagsschlaf, vor sich eine Tasse Kaffee und spricht über das neue Stück „Drei Sterne suchen einen Koch“, das seit diesem Wochenende in der Box des Deutschen Theaters zu sehen ist. Das Stück handelt von einem französischen Spitzenkoch, der sich mit dem Jagdgewehr – ein Geschenk seiner Frau – erschießt, nachdem ihm der Restaurantführer Gault Millau zwei von neunzehn Punkten aberkannt hat.

Die Geschichte ist authentisch, den französischen Medien- und Küchenstar Bernard Loiseau gab es wirklich. In der Version von Ivan Panteleev wird aus dem Fall eine Groteske, in der auch die alte Pirandello-Frage einen zentralen Auftritt hat: Wer spielt eigentlich welche Rolle. Und wenn ja, warum? Finzis Augen, die am Anfang des Gesprächs noch abwartend schauten, haben sich längst begeistert geweitet: „Es ist eine delikates Spiel: die Figur sein und über die Figur erzählen.“ Ein kleiner Spalt zwischen Schauspieler und Figur sollte immer erhalten bleiben, denn „mit Method acting kann ich nichts anfangen“.

Samuel Finzi, 1966 geboren, ist Bulgare, wie Dimiter Gotscheff, mit dem Finzi seit Anfang der neunziger Jahre gut zwei Dutzend Mal zusammengearbeitet hat. Die beiden kennen sich aus Sofia, Gotscheff war am selben Haus wie Finzis Vater, einem bekannten jüdischen Regisseur, engagiert. Doch es lag nicht an Gotscheff, dass Finzi im Dezember 1989 aus Sofia, wo er an der staatlichen Schauspiel- und Filmakademie studiert hatte, nach Berlin kam.

„Die Karriere ging steil nach oben. Aber es war mir in Bulgarien einfach zu eng.“ Als der in Deutschland arbeitende Regisseur Ivan Stanev ihm anbot, in seiner Kompanie zu spielen, nahm Finzi einen Monat Deutschunterricht packte die Koffer und wäre nach vier Monaten freilich fast wieder abgereist, weil „ich glaubte, mich in der deutschen Sprache nie frei fühlen zu können. Doch dann hat es Klick gemacht, und ich konnte wieder spielen.“ Plötzlich ruft Finzi: „Wissen Sie, was ich in Deutschland hasse?“ Er streicht dem Reporter auf seltsame Weise über den Rücken und sagt: „Na, du Lieber!“ Dann: „Dieses fehlende Körpergefühl! Furchtbar! Da fühle ich mich wie ein Hund.“ Andererseits kann man hier gut arbeiten, „denn Konzentration ist in Bulgarien eine schwierige Sache“.

Finzi spielte im Hebbel-Theater und sagte erst beim zweiten Mal Ja, als Gotscheff ihn wollte: „Leonce und Lena“ 1992 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Danach arbeitete er mit Robert Wilson, Jürgen Flimm, Werner Schroeter, Katharina Thalbach, Benno Besson, gastierte von Hamburg bis Zürich und trat nebenbei in zahlreichen Fernsehkrimis auf, wenn – wie er abschätzig sagt – „ein Bösewicht aus dem Balkan“ gesucht wurde. Wirklich bekannt wurde er aber erst, als Gotscheffs Theater in den letzten Jahren eine späte Blüte erlebte, zuletzt brillierte er als Xerxes in „Die Perser“.

Eine gewisse Enttäuschung ist nicht zu überhören, wenn die Rede auf den Ruhm kommt. Da schüttelt er den Kopf: „Wenn ich mir ansehen, was andere so machen. Ich weiß nicht...“ Inzwischen sitzt die versammelte Kollegenschaft der „Drei-Sterne-suchen-einen-Koch“-Produktion am Nebentisch. Regisseur Panteleev, Almut Zilcher, Marie-Lou Sellem, die gut gelaunt herüberruft: „Schreiben Sie, dass Samuel Finzi ein dialektischer Mensch ist.“ Als sie sich abgewendet hat, sagt Finzi: „Wenn man etwas kann, kann man es auch weglassen. Das versuche ich mir beizubringen seit ein paar Jahren. Hab ich von Sepp Bierbichler gelernt.“

„Drei Sterne suchen einen Koch“. Wieder heute, 20.30 Uhr.

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