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Kultur: Heimat ist auch dort, wo Kargheit herrscht

Keine Besserwisserei: Klaus Schroeder über das Zusammenwachsen von Ost und West

Warum noch immer nicht zusammenwachsen will, was doch zusammengehört, beschäftigt Wissenschaftler, Ökonomen und Politiker, Letztere allerdings meist nur in Sonntagsreden, in denen dann gern das Alternativlose des bisherigen Weges beschworen wird. Wenn aber alles immer richtig war, dann bleibt die Frage, warum so wenige den schwierigen, langen Weg vorausgesehen haben, weshalb alles falsch eingeschätzt wurde, der Wert der Rest-DDR, ihre Wettbewerbsfähigkeit und offensichtlich auch die fatalen Auswirkungen eines Umtausches der Ostmark in D-Mark irgendwo im Verhältnis zwischen 1:1 und 2:1.

Nun gab es immer Ausnahmen, Bundesbankpräsident Otto Pöhl war eine davon, doch die wurden damals wie heute mit dem jede Diskussion beendenden „politisch gab es keine andere Möglichkeit“ ins Abseits gestellt. Es mag ja sein, dass ein anderes Umtauschverhältnis zu Verwerfungen und sofortiger Unzufriedenheit bei den anschlussbereiten Ostdeutschen geführt hätte, und vielleicht wären auch die Wahlen etwas anders ausgegangen, hätten sich nicht so einfach Wiedervereinigungsbefürworter gegen Wiedervereinigungsgegner oder zumindest Zauderer ausspielen lassen. Aber das ist eben alles Schnee von gestern, also ein Was- wäre-gewesen-wenn, das Historiker so wenig mögen.

Klaus Schroeder vermeidet in seinem Buch „Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört“ alle Besserwisserei, also Ratschläge ex post. Er schildert eindrücklich die ökonomische Schlussbilanz der DDR, die verheerenden Zahlen, Daten und Fakten eines ökonomischen wie ökologischen Totalzusammenbruchs. Doch er belässt es nicht dabei. Sein Interesse gilt den fortwirkenden Identitäten, also dem, was nicht statistisch erfassbar, sondern nur lebensweltlich erfahrbar ist. Denn was im Westen lange Zeit unterschätzt wurde, ist die Tatsache, dass Heimat eben auch dort ist, wo Diktatur, Kargheit und Mangelwirtschaft herrschen und dass Kraft für eine neue Zukunft Orientierung an Vergangenem braucht, und zwar auch dann, wenn dieses Vergangene objektiv falsch und zerstörerisch war. Denn Lebensgeschichte deckt sich eben nicht immer mit realer Geschichte und die Charakterisierung als Unrechtsstaat nicht immer mit den subjektiven Erfahrungen.

Doch je eindrücklicher Klaus Schroeder das „falsche Bewusstsein“ vieler Ostdeutscher schildert, umso deutlicher treten auch die zu Beginn gemachten Fehler ins Bewusstsein, eben das Verschweigen und Unterdrücken der traurigen Bilanz. Indem die westdeutsche Politik aus Gründen des parteipolitischen Machterhalts eine schonungslose Eröffnungsbilanz vermied, schuf und verstärkte sie eben jene Haltungen, die sie heute beklagt. Und so verwundert es nicht, wie hartnäckig sich die Mär vom durchgehenden Plattmachen weltmarktfähiger DDR-Betriebe bei vielen Ostdeutschen halten konnte. Es wird also länger als angenommen dauern, bis endlich zusammenwächst, was zusammengehört, bis einmal die reale Geschichte nicht mehr von den vielen verletzten Lebensgeschichten verdeckt wird.

Klaus Schroeder: Das neue Deutschland: Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört. wjs, Berlin 2010. 250 Seiten, 19,95 Euro.

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