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Kultur: Heißer Sand und ein verlorenes Land

Martin Kusej schickt „Carmen“ an der Staatsoper Unter den Linden in die Wüste

„Sie haben richtig gehört, meine Carmen spielt in der Wüste.“ – „Und was machen Sie mit der Zigarettenfabrik in der Eröffnungsszene, mit der Polizeistation, dem Platz in Sevilla?“ Martin Kusej schweigt einen Moment, und antwortet dann lächelnd: „Na ja, also, ehrlich gesagt: der erste Akt – das wird der Hammer.“

Georges Bizets „Carmen“ in der Oper ist so sicher wie das „Amen“ in der Kirche. Hinter Mozarts „Zauberflöte“ und der vermeintlichen Kinderoper „Hänsel und Gretel“ hat das Drama um die Zigeunerin ein Abonnement auf Platz drei der deutschen Musiktheater-Hitparade. In der Saison 2002/03 gab es republikweit 21 „Carmen“-Neuinszenierungen, das macht ungefähr 150000 Besucher für die Sevilla-Story. In Berlin läuft das Stück seit 1991, Harry Kupfers höchst spannende „Version“ an der Komischen Oper ging jüngst zum 150. Mal über die Bühne. Ein paar Kilometer weiter westlich, in der Deutschen Oper hat es Peter Beauvais’ ultrakonventionelles Arrangement von 1979 dagegen nur auf 73 Vorstellungen gebracht.

Der Publikumsliebling „Carmen“ ist immer ein Kassenfüller – schon allein deshalb, weil die meisten Menschen sich des Stücks und nicht einer bestimmten Produktion wegen für einen Opernbesuch entscheiden. Staatsopernintendant Peter Mussbach allerdings kann sich nicht darauf einstellen, dass Martin Kusejs wüste „Carmen“ (Premiere ist am 4. Dezember) ein Dauerbrenner Unter den Linden wird. Denn der Regisseur selbst findet, dass seine Inszenierungen eine Halbwertszeit von maximal fünf Jahren haben sollten. Dann ist die Zeit über sie hinweggegangen. Oder der Wüstenwind.

Der Österreicher Martin Kusej inszeniert – nach einem verrutschten Shakes- peare 1996 an der Volksbühne – zum ersten Mal wieder in Berlin. Er ist ein Künstler, der ganz genau hinsieht. „So funktioniert das Kusej-Theater: Er setzt der Welt ein großes Minuszeichen vor, weil Negation die Erkenntlichkeit erhöht“, beschreibt Georg Diez in seinem Buch „Gegenheimat. Das Theater des Martin Kusej“ (Edition Burgtheater im Residenz Verlag, 2002) die Arbeitsweise des 43-jährigen Kärntners. Und weiter heißt es: „Kusej tötet, um Leben zu schaffen. Ein negatives Pathos, das all seine Arbeiten durchglüht, egal, ob er zum verborgenen Kern eines Stücks vordringen will oder das Innerste nach außen kehrt, um einem Text eine neue Wahrheit, eine neue Brutalität, eine neue Schwärze abzutrotzen.“

„Carmen“ ist in der Tat ein Werk, das nach Reinigung verlangt – zu viele Schichten haben sich über Bizets 1875 bei der Uraufführung hart bekämpftes Musikdrama gelegt, unter den bunten Zigeuner-Röcken, unter Rüschen und Folkloreplüsch ist die Dreiecksgeschichte verschwunden. Mit seinem Bühnenbildner Jens Kilian wagt Kusej den Totalschnitt, eliminiert nicht nur Kastagnetten und Torero-Pailletten, sondern gleich das ganze Spanien, schickt Michaela, Don José und Carmen übers Meer in die Wüste. Hier kann sich keiner verstecken, hier bringt die Sonne alles gnadenlos an den Tag. Hier geht es nur noch um Leben und Tod.

Dabei ist Martin Kusej kein Unbehauster. Sicher, der Enge seiner österreichischen Heimat ist der Dorfschullehrer-Sohn früh entflohen, hat in den Großstädten Karriere gemacht, zunächst als Theaterregisseur, ab 1996 auch in der Oper. Seine Hamburger „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von 1999 und seine Wiener Burgtheater-Inszenierung von Karl Schönherrs „Glaube und Heimat“ (2001) wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Und ab Sommer 2005 wird er die Schauspiel-Sparte der Salzburger Festspiele leiten. Im Jahr 2000 hat er dort einen schon recht opernhaften „Hamlet“ inszeniert und später Mozarts „Don Giovanni“. Kusejs erste Opernerfahrung war 1998 in Stuttgart – und gleich Beethovens „Fidelio“, gefolgt von einem Luigi-Nono-Stück. Richard Strauss’ „Salome“ brachte er in Graz und Zürich auf die Opernbühne.

Apropos Wüste: Regisseure wie Kusej sind Nomaden wider Willen. Viele Intendanten wollen eine Kusej-Inszenierung auf dem Spielplan haben, also wechselt man die Städte im Acht-Wochen-Takt. Spaß macht es ihm nicht, dieses Leben aus dem Koffer. „Wenn ich irgendwo ankomme, suche ich mir zuallererst ein Stück Privatsphäre“, erklärt Kusej. „Das kann ein Café sein, eine bestimmte Ecke bei einem Italiener, irgend ein Fleckchen, wo ich nicht immer wieder alles von vorne erklären muss.“

Erklären muss er schließlich genug auf den Proben in der Oper. Die sind für einen gelernten Sprechtheaterregisseur manchmal verdammt hart. Weil die Sänger ihm szenisch von sich aus nichts anbieten. Schauspieler haben zu jedem Wort, jeder Situation eine Geste, einen Blick parat. Sänger denken – da stimmt das Klischee – zuallererst an ihren Gesang. Dabei hat Kusej in diesem Fall noch Glück: Neben der erfahrenen Mariana Domashenko als Titelheldin arbeitet er mit drei Rollendebütanten. Die haben den Kopf noch frei. Rolando Villazon zum Beispiel ist ein Geschenk für jeden Regisseur: Obwohl er sich stimmlich gerade zu einem der besten Tenöre seiner Generation entwickelt, ist ihm jede Starallüre fremd. Er durchlebt seine Rollen ganz direkt und naiv, die Musik treibt seinen Körper vorwärts, wenn er singt. Da muss man ihn nur noch mit sanfter Hand in die richtige Richtung dirigieren.

In „Carmen“ ist Hanno Müller-Brachmann sein Gegenspieler, optisch ein idealer Escamillo, jung, gut gebaut, lässig – wenn er es schafft, den gekünstelten Kammersänger-Tonfall abzulegen, der so gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passt, dürfte sein Torero ziemlich unwiderstehlich sein. Und auch Kusejs Michaela, Dorothea Röschmann, die als Barock- und Mozart-Interpretin Unter den Linden zum Publikumsliebling wurde, ist eine Frau von natürlicher Bühnenpräsenz.

Mit solchen Sängern und der Schützenhilfe von Daniel Barenboim aus dem Orchestergraben stürzt sich Martin Kusej in den Wüstensand. Eines hat er als bekennender Corrida-Fan gelernt: „Oper ist wie Stierkampf. Wer außen steht, der versteht nichts.“ Es wird auf jeden Fall heiß. Premiere am 4. Dezember, 19 Uhr, in der Staatsoper Unter den Linden.

Martin Kusej, 43, stammt aus Kärnten und ist ab Sommer 2005 Schauspielchef der Salzburger Festspiele. „Carmen“ an der Staatsoper ist seine erste Musiktheaterarbeit in Berlin.

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