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Kultur: Heiter ist die Anarchie

Wenn der Sohn mit dem Vater: Claudio und Daniele Abbado wagen sich in Reggio Emilia gemeinsam an Mozarts „Zauberflöte“

„Fare la scarpetta“ – ein Schühchen machen, nennen es die Italiener, wenn ihnen etwas so gut geschmeckt hat, dass sie mit einem Stück Brot noch den allerletzten Tropfen Soße vom Teller tunken. Auch das Publikum im Teatro Valli von Reggio Emilia wollte den Abend so lange wie möglich auskosten, klatschte sich in Rage, schrie „Bravo!“, warf Blumen. Mitten unter den Darstellern, in geradezu kindlicher Ausgelassenheit: Claudio Abbado. Fast 72 Jahre alt musste der Dirigent werden, um sich an Mozarts „Zauberflöte“ zu wagen. Fast 50 Jahre ist Abbado im Musiktheater aktiv, doch sein Repertoire umfasst kaum mehr als 30 Bühnenwerke. Oft hat er viele Jahre gezögert, eine Partitur immer wieder studiert, bis er sich eine eigene Interpretation zutraute. Die „Zauberflöte“ war so ein Fall. Da musste schon Daniele Abbado kommen, um den Pappà zu überreden.

Der 47-Jährige ist seit Herbst 2002 Intendant des Theaters von Reggio Emilia, dem Bielefeld Italiens: Eigentlich unbedeutend, aber sehr wohlhabend. Für das elegante, in klassizistischem Gold-Weiß gehaltene 1200- Plätze-Haus von 1857 kaufte man bislang vor allem Produktionen aus den Nachbarstädten Bologna und Parma ein. Dann kam Abbado junior, der Schauspielregisseur aus Mailand, und rief „Stop al melodramma“: Statt teuren Opern-Importen wollte er Eigenes, Experimentelles anbieten. Das gab Zoff, Debatten entbrannten in der Lokalzeitung, Abonnenten drohten mit Kündigung – bis Daniele einen Trumpf aus dem Ärmel zog: Ab April 2005 solle es dann wieder Musiktheater geben. Und Claudio Abbado höchstselbst würde eine Neuinszenierung in Reggio Emilia leiten, erstmals mit seinem Sohn zusammenarbeiten!

Seit seiner Magenkrebs-Operation hat der Dirigent die Zahl seiner Auftritte massiv reduziert. Was jeden Abbado-Abend automatisch zu einer Rarität macht. Die Karten-Nachfrage war so groß, dass man sich entschied, die Premiere auf drei Mega-Videoleinwänden in die beiden anderen Theater der Stadt zu übertragen sowie auf die zentrale Piazza. Gleich im Anschluss geht die Produktion nach Ferrara, Mitte Mai gibt es drei Aufführungen in Baden-Baden, im Herbst folgt ein Gastspiel in Modena. Sowohl ein CD- wie auch ein DVD-Mitschnitt sind fürs Mozart-Jahr 2006 angekündigt.

„Die Zauberflöte“ und der Maestro treffen genau zum rechten Zeitpunkt aufeinander. Durch die Krankheit von allen Fesseln des Musikbusiness befreit, hat Abbado sich auch mental von jedem Kompromiss-Denken abgekoppelt. Er hat mit 200 Intellektuellen, darunter Nadine Gordimer und Jose Saramago, einen Aufruf unterschrieben, in dem Castro und seine kubanische Revolution verteidigt werden, er fordert kostenlose Kultur für alle und erzählt begeistert von Venezuela, wo die Regierung Straßenkinder mit Musikunterricht versorgt. Ein heiterer Anarchist scheint er zu werden, wie Mozart. Und geht doch ebenso wie der Salzburger Komponist in seiner Kunst weit über jede platte Provokation hinaus.

Abbados „Zauberflöten“-Interpretation spannt auf faszinierende Weise Rokoko und Aufklärung zusammen: Fein und duftig der Klang, von höchster Grazie wie die Ornamente in Sanssouci, und doch durchpulst von einem Geist, der Klarheit will und selbstständiges Denken fordert. Mit dem Mahler Chamber Orchestra hat Claudio Abbado ein Ensemble zur Seite, das dem alten Denken vom absolutistisch herrschenden Kapellmeister und seinen Musiker-Untertanen vollständig entwachsen ist. Hier wird jeder Ton hinterfragt, jeder Begleitakkord ernst genommen, in Zusammenhang mit dem Ganzen gesetzt. Hundert herrliche Details sind darum zu entdecken, über die sonst hinwegmusiziert wird.

Manch hübsche Idee haben Daniele Abbado und sein Bühnenbildner Graziano Gregori gehabt, wie jenen Käfig, dessen Gestänge bei den Klängen des Zauber-Glockenspiels in sich zusammensinkt (weil es aus Seilen besteht). Monostatos (feurig: Kurt Azesberger) haust in einem riesigen Löwenkopf, die drei Damen machen ebenso bella figura wie die tanzenden Tiere (Kostüme: Carla Teti). Dennoch verdichtet sich das kurzweilige Arrangement letztlich nicht zur Regie, weil im Gegensatz zur musikalischen Seite kein klarer Deutungsansatz erkennbar wird. Und auch eine analysierende Personenführung findet nicht statt. Mit den Händen darf jeder machen, was er will: Bei Matti Salminens Sarastro fällt die konventionellen Gestik nicht ins Gewicht, weil er alle Aufmerksamkeit durch die Wärme seines charaktervollen Basses fesselt. Ingrid Kaiserfeld lässt die Königin der Nacht durch ihr Herumfuchteln dagegen schwächlich erscheinen – womit das Machtgefüge des Stücks aus dem Gleichgewicht gerät.

Jede Bewegung sitzt beim hinreißend lockeren Papageno von Nicola Ulivieri, auch wenn man bei ihm nicht alles vom deutschen Text versteht. Als hohes Paar treten Christoph Strehl und Rachel Harnisch auf, er ein smarter Tamino mit heldischem Einschlag, sie eine Pamina mit idealem Alabaster-Timbre. Und doch: Wer in einer der seitlichen Logen saß, aus denen man Claudio Abbado beim Dirigieren beobachten konnte, mag an diesem Abend häufiger in den Orchestergraben geschaut haben als auf die Bühne.

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