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Kultur: Helden des Konsumwahns

Aggression und Apathie: Das Münchner Haus der Kunst zeigt Videoinstallationen des Holländers Aernout Mik

Eine bessere Schule der Emotionen als den Fußball gibt es kaum, meint Aernout Mik, ein passionierter Anhänger des Kampfes ums runde Leder. Dass Holland gegen Portugal im EM-Halbfinale verlor, hat den 42-jährigen Holländer zwar geschmerzt, aber die Niederlage fand er fair. Schließlich kennt keiner die Codes der Meuten und ihre Rituale der Zugehörigkeit besser als er – und keiner stellt sie kühner auf den Kopf.

Wo Menschen als Masse auftreten – ob im Stadion, der Kirche oder im Krieg – haben sie in der Regel ein gemeinsames Anliegen, einen Glauben, ein Idol, einen Gott oder einen Gegner. Als Fans und Fanatiker outen sie sich stolz durch Haartracht und Haltung, Alkoholika und Sneakers, T-Shirt-Sprüche und Tattoos und nicht zuletzt die kleinen Ringe in Nasenloch und Ohr.

Dieses scheinbar genormte Gleichgewicht von Individuum und Gruppe destabilisiert Aernout Mik mit seinen theatralischen Raum- und Videoinstallationen. Beim ihm vermittelt Gemeinschaft keine Geborgenheit oder wenigstens eine Illusion von ihr, wie teuer auch immer erkauft um den Preis von Ego und Einzigartigkeit. Stattdessen zersplittert auf seinen filmischen Tableaux jede Art von Gruppendynamik in absurde Endzeitspiele zwischen Hysterie und Apathie. Mit der Detailgenauigkeit eines Verhaltensforschers inszeniert der Künstler seit acht Jahren Versuchsanordnungen, die Menschen als von Zufall, Zweck oder Schicksal zusammengewürfelte Menge zeigen, deren Kommunikation ins Leere läuft.

In „Pulverous“, einer Arbeit aus dem Jahr 2003, zerstäubt sie buchstäblich in isolationistischen Aktivitäten. Schauplatz ist ein Supermarkt, Modell Discounter. Männer und Frauen, alte wie junge, sitzen auf dem Boden, hocken auf Kisten, stehen vor Regalen voller Chips und Maisdosen. Sie zerbröseln tütenweise Cracker und Popkorn, rollen Toilettenpapier auf, naschen Vanillepudding oder stürzen Kartons um. Ebenso akribisch wie zugleich apathisch geben sie sich einer kollektiven Zerstörungsorgie hin – und bleiben doch Autisten des Konsumwahns.

In der oberen Etage der von Stephanie Rosenthal eingerichteten Ausstellung im Münchner Haus der Kunst hat Mik diesen Loop als langgestreckte, monumentale Bildfläche an die Wand projiziert. Sie reicht vom Boden bis etwa in Augenhöhe des Betrachters. Mit sechs weiteren, wellenartig oder leicht konkav geschwungenen Leinwänden in unterschiedlichen Dimensionen, dazu einem Flachbildschirm, vor dem ein Sofa steht, schafft der Künstler eine skulpturale Architektur, auf der sich die Endlosschleifen der Bilder zu einer Choreographie manisch-depressiver Begegnungen fügen.

Menschen und Ziegen warten und dösen in „Flock“ (2002) wie Kreaturen in einem Flüchtlingslager. Wer allerdings versucht aufzustehen, wird wieder zu Boden geschubst, ruhiggestellt – ein Impuls, der verrät, wie stark Menschen Rollen verinnerlichen. Ihrer latenten Agonie entgegengesetzt sind die aggressiven Hüpfbewegungen junger Männer und Frauen in „Park“. Unter hohen Bäumen im Wald zelebriert diese Gang in Camouflagehosen und Sweatshirts ihr Selbsterfahrungstraining wie in einem Survival Camp, während neben ihnen ein anderes Rudel voll absurder Hingabe einen Staubsauger zerlegt.

Jede Videoinstallation von Aernout Mik zieht den Betrachter in einen Strudel widersprüchlicher Wahrnehmungen und Empfindungen aus Identifikation und Verweigerung hinein, so auch seine jüngste Arbeit „Dispersion Room“, die zurzeit auch im Kölner Museum Ludwig zu sehen ist. In München, im Ausstellungsraum der ehemaligen Ehrenhalle, installiert er dieses neueste Werk als ein Großraumbüro aus Kunststoffschreibtischen mit abgesägten Beinen und Computern, das von zwei riesigen Leinwänden umrundet wird.

Gewissermaßen hautnah und auf Augenhöhe sieht sich der Betrachter – auf einem der Stühle im Raum sitzend – mitten in eine makabre Video-Revue in einem halb eingerichteten Großraumbüro hineingezogen. Die Protagonisten dieser Performance schleppen Aktenordner, drängeln sich aufgeregt zum Meeting, zerren an Kabeln an der Decke, halten sich an Papierbechern mit Kaffee fest, eilen geschäftig aneinander vorbei und wirken doch seltsam ziellos, demotiviert und desorientiert. Ein Lichtintervall stoppt den Bilderfluss in einem bestimmten Rhythmus. Eine Schocksekunde lang löst sich der Betrachter aus der Trance, in die ihn das Szenario rasenden Stillstands versetzt hat. Und er erkennt: Aus dem Gefängnis sozialer Intimität gibt es keine Flucht.

Haus der Kunst München, bis 12. September, Katalog bei DuMont, Köln, 23 €. Museum Ludwig, Köln, bis 3. September; Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 14,80 €.

Eva Karcher

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