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Kultur: Henne oder Ei

Das „Manifest der 25“ versucht, Deutschlands Verhältnis zu Israel neu zu bestimmen

Von Gregor Dotzauer

Bisher war deutsche Kritik an Israel die Sache einzelner Wissenschaftler und Publizisten. Mit dem vorgestern in der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlichten „Manifest der 25“ (www.fr-online.de/doku) hat sich nun erstmals eine überwiegend aus Politologen, Historikern und Soziologen bestehende Gruppe von Hochschullehrern zum Wort gemeldet. Auf ein Echo, wie es der englische Historiker Tony Judt vor drei Jahren mit seinem Essay „Israel: Die Alternative“ in der „New York Review of Books“ fand, dürften Wolfram Wette, Werner Ruf, Udo Steinbach und die übrigen Autoren sowie ihre Unterstützer vergeblich hoffen. Denn für ein Manifest ist der Text weder besonders prägnant geschrieben noch gehen die Forderungen über Denkanstöße hinaus. Doch ein erster Schritt, Deutschlands Sonderstellung gegenüber Israel – vor allem nach dem Libanonkrieg – jenseits von Lagermentalitäten neu zu bestimmen, ist getan. Die Verfasser des Manifests versuchen, drei Fragen zu beantworten, die leicht gerafft so lauten: „Ist es angemessen und sinnvoll, die ,freundschaftliche’ Beziehung“ weiterhin als ,besondere’ zu pflegen? Steht Deutschland aufgrund des Holocaust wirklich nur bei Israel in der Pflicht im Nahen Osten? Und was bedeutet es für den binnendeutschen Diskurs, wenn diese beiden Fragen ernsthaft gestellt werden?“

Das Bemühen, sich dabei von niemandem vereinnahmen zu lassen, ist deutlich erkennbar. Die Einzigartigkeit des Holocaust wird ebenso ausdrücklich anerkannt wie die Notwendigkeit, jede Form des Antisemitismus zu bekämpfen, um – nicht zuletzt durch militärisches Knowhow – die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel zu erhalten. Das Manifest weist aber auch darauf hin, dass nicht nur Israel Deutschlands besondere Aufmerksamkeit verdient habe.

Es gebe, so heißt es, „auch eine Mitverantwortung für die Lebensbedingungen und eine selbstbestimmte Zukunft des palästinensischen Volkes“. Die erste Voraussetzung dafür bestehe darin „das Leiden wie das Unrecht auf beiden Seiten wahrzunehmen und die Bedürfnisse nach Sicherheit, Menschenwürde und Vertragstreue auf beiden Seiten anzuerkennen“. Deutlich stellt das Manifest fest, dass nicht nur die Hisbollah den Geist des Osloer Abkommens aus dem Jahr 1993 zerstört habe. „Die völkerrechtswidrige Fortsetzung der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten seit 1993, die täglichen Demütigungen der Palästinenser und schließlich die De-facto-Annektion von etwa zehn Prozent des Westjordanlandes mittels einer ,Zaun’ genannten, in Teilen acht Meter hohen Mauer hatten die gleiche fatale Wirkung. Die Frage nach Ursache und Wirkung ist hier wie die nach Henne und Ei.“

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