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Kultur: Henning Mankells Kommissar sieht nach dem Rechten

Der Mittsommer ist etwas Heiliges in Schweden. Am 22.

Der Mittsommer ist etwas Heiliges in Schweden. Am 22. Juni scheint die Sonne am längsten, der Sommer rückt in greifbare Nähe, und alle Schweden feiern. Es ist also ein kleines Sakrileg, dass in Henning Mankells neuem Roman ausgerechnet an diesem besonderen Tag eine Gruppe von Jugendlichen von einem Unbekannten scheinbar grundlos erschossen wird, die gerade auf einer Waldlichtung den Sommer begrüßt.

Als die Polizei von Ystad in Südschweden die Toten entdeckt, ermittelt sie gerade in eigener Sache. Der Kriminalbeamte Svedberg ist ermordet in seiner Wohnung aufgefunden worden. Svedberg? Mankell-Leser grübeln. Sie können sich nur an einen unscheinbaren, freundlichen Kollegen Kurt Wallanders, des brummeligen Kommissars in Ystad, erinnern. Doch mit dem plötzlichen Ende bekommt Svedbergs Leben Geheimnisse. Und irgendwann fragt sich Wallander, ob nicht der netteSvedberg die drei Jugendlichen erschossen haben könnte.

Wallander muss sich so mancher bitteren Wahrheit stellen: Sein Liebesverhältnis mit Baiba, der Lettin aus Riga, das sich über viele Romane hinzog, ist endgültig zu Ende. Außerdem lässt den notorisch überarbeiteten Polizisten sein Körper im Stich: Wallander leidet an Diabetes, müsste weniger arbeiten, sich besser ernähren, mehr schlafen. Natürlich tut er das Gegenteil.

Wieder einmal lässt ihn Mankell in einen scheinbar aussichtslosen Kampf ziehen. Wallander ist verbitterter denn je: "Er war sein Leben lang Polizist gewesen und hatte gedacht, er trüge dazu bei, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Aber alles um ihn herum war nur schlimmer geworden. Die Gewalt hatte zugenommen, an Ausmaß wie an Härte. Schweden hatte sich zu einem Land mit immer mehr verschlossenen Türen entwickelt." In einem halbprivaten Gespräch mit seiner Kollegin Ann-Britt Höglund sagt Wallander: "Es schwankt und es knackt in den Fugen." Die Kollegin fragt: "Was ist eigentlich mit diesem Land los?" Weder sie noch Wallander wissen die Antwort. Stattdessen schreibt Mankell: "Draußen donnerte ein Lastzug vorüber."

Das ist er, der Tonfall, den nicht nur die eineinhalb Millionen Mankell-Leser in Deutschland lieben: unaufgeregt, ein bißchen melancholisch, mit sozialkritischem Zungenschlag. Er erinnert Anhänger der gehobenen Kriminalliteratur an die Bücher des legendären schwedischen Autorenpaars Sjöwall/Wahlhöö. Mit ihrer sozialkritischen Romansuite um den Stockholmer Kommissar Martin Beck eröffneten die beiden in den späten 60er und frühen 70er Jahren dem Genre neue Möglichkeiten.

Kurt Wallander ist ein Typ wie Martin Beck: nüchtern, abgeklärt, einsam trotz gelegentlicher Liebesaffären. Obwohl sie oft genug haben von all dem Elend, dem sie täglich ausgesetzt sind. "Deshalb eignet sich der Kriminalroman so gut für eine Kritik an dieser Gesellschaft, weil man die Extreme zeigen kann, verpackt in eine spannende Geschichte", sagt Henning Mankell. Er hatte Ende der 80er Jahre seinen ersten Krimi geschrieben, weil er den Rassismus in Schweden thematisieren wollte.

In Mankells Büchern ist wie in der Wirklichkeit alles aus den Fugen geraten und der schwedische Wohlfahrtsstaat zur Fassade verkommen. Seit dem Mord an Ministerpräsident Olof Palme 1986 hat sich Schweden endgültig vom sozialdemokratischen Traum einer heilen Welt verabschieden müssen. Das hatten Maj Sjöwall und Per Wahlhöö in ihrem letzten Roman "Die Terroristen" von 1975 bereits befürchtet: Er handelte von der Ermordung eines schwedischen Ministerpräsidenten. Was in den Siebzigern noch Fiktion war, wurde mit den Todesschüssen auf Olof Palme in den Achtigern Realität.

Keine Regeln, keine Moral

Genau diese Stimmung des allgemeinen Zerfalls greift Henning Mankell auf: Bei ihm geschehen Morde jenseits aller Regeln, aller Moral. Das macht die Ermittlungsarbeit für die Ystader Polizei so langwierig und Mankells Romane so dick. Man braucht schon mehr als 500 Seiten, um von jeder Arbeitssitzung Kurt Wallanders und seiner Kolleginnen und Kollegen zu berichten. Und Mankell ist genau. Als großer realistischer Erzähler transportiert er in einer Unzahl von kleinen Beobachtungen vieles, was sonst in einem Kriminalroman nicht unbedingt zur Sprache kommt. Mankell nimmt sich auch Zeit für poetische Zwischentöne. Und er spinnt zarte Fäden zwischen seinen Protagonisten. Diesmal scheint sich etwas zwischen Wallander und seiner Kollegin Höglund anzubahnen.

Mankell ist ein melancholisch gewordener Linker. Sein Kommissar formuliert das Unbehagen, das viele seiner Leser empfinden. Der Erfolgsautor lebt seit längerem in Mosambik, wo er in Maputo ein Theater leitet. Während der Überschwemmungen seiner Wahlheimat hat er sich in Schweden lautstark für die Forcierung der zunächst zögerlich anlaufenden internationalen Hilfe eingesetzt. In Schweden hat er seine Wallander-Suite abgeschlossen und erklärt, keine Krimis mehr schreiben zu wollen. Dafür kommt Kurt Wallander jetzt in die Kinos. Die Münchner Constantin Film hat die Rechte an allen Wallander-Krimis gekauft. Der Schwede Bille August ("Fräulein Smillas Gespür für Schnee") ist als Regisseur vorgesehen. Aber vermutlich wird das Kino der herrlich langsamen Erzählweise der Romane nicht gerecht werden können.Henning Mankell: Mittsommermord. Roman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Zsolnay Verlag, Wien 2000. 603 S., 45 DM.

Thomas Askan Vierich

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