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Nur keine Panik: Wolfram Koch und Sophie Rois als Ehepaar mit Geheimnissen in der „Fliege“.

© Thomas Aurin

Sehr komisch: Herbert Fritsch: Von Gatten und Latten

Komiker: Dem Theater war das Lachen gründlich vergangen. Und dann kam Herbert Fritsch.

Es wäre falsch, zu behaupten, mit seinen Inszenierungen des überdrehten, hysterischen und entschlossen sinnfreien Aberwitzes hätte Herbert Fritsch das Theater einfach nur neu erfunden. In Wirklichkeit macht Fritsch mit seinen Volksbühnen-Inszenierungen „Die (s)panische Fliege“ und „Murmel Murmel“ etwas viel Schöneres und Wagemutigeres, als einfach nur eine neue Pirouette im Avantgarde-Spiel zu drehen. Er befreit das Theater vom Sinnzwang. Fritsch rehabilitiert das zweckfreie Spiel, das nichts beweisen will, und benutzt dafür Theatermittel, die alles andere als modern sind – Slapstick, Grimasse und Körperkomik zum Beispiel. Fritschs Inszenierungen setzen auf ein vorliterarisches, vorbürgerliches, hemmungslos in Effekte, Übertreibungen, fröhlichen Quatsch verknalltes Theater. Damit drehen sie, ganz nebenbei, eine theaterhistorische Weichenstellung zurück, die auf deutschen Bühnen seit gut zweieinhalb Jahrhunderten zuverlässig für Langeweile sorgt.

Irgendwann Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das deutsche Theater seriös. Die Faxenmacher, Grimassenschneider und Possenreißer des Jahrmarkttheaters hatten auf den bürgerlichen Bühnen nichts mehr verloren. Einen Shakespeare, der derbe Witze neben tiefsinnige Verse setzte und betrunkene Narren neben schwermütigen Prinzen auftreten ließ, hatten die Deutschen nicht, auch keinen Molière, der das Typen-Theater der Commedia dell’Arte literarisierte. Stattdessen mühte sich in der Frühzeit eines bürgerlichen Theaters die Prinzipalin Caroline Neuber, „die Comödianten als vernünftige und wohlgesittete Leute zu bessern“.

Die Bürger wollten sich, wenn sie schon ärmer und ohnmächtiger als der Adel waren, im Theater wenigstens an der Feier bürgerlicher Moral delektieren. Der heute zu Recht weitgehend vergessene Regelpoet Johann Christoph Gottsched dekretierte in seiner „Critischen Dichtkunst“, wie die Kunst zur Feier hehrer Prinzipien auszusehen habe: „Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf sinnliche Art einprägen will“. Damit war Schluss mit Scherz und Schabernack, von nun an war die Bühne bitte sehr eine moralische Anstalt. Von diesen ethischen Säuberungen hat sich das Theater bis heute nicht erholt. Von Lessing bis Brecht bis hin zu den letzten geistlosen Schrumpfformen des schematischen Agitprops eines Volker Lösch wurde das Theater als Transportmittel für menschheitsbeglückende Botschaften benutzt – klug und elegant beim Aufklärer Lessing, simplifizierend beim didaktischen Märchenonkel Brecht. Nicht Komödianten gaben den Ton in den vornehmeren Theaterregionen an, sondern lauter „Moraltrompeter von Säckingen“.

Diese hübsche Beleidigung, mit der Nietzsche den Pathetiker Friedrich Schiller präzise getroffen hat, gilt bis heute für die Heroen eines sich für politisch haltenden Theaters. Selbst Regie-Routiniers wie Thomas Ostermeier oder Claus Peymann gefallen sich in der Pose des theatralischen Gesellschaftskritikers. Sogar ein Frank Castorf, im Prinzip für jeden abgedrehten Quatsch zu haben, pimpt seine Abende geradezu zwanghaft mit Heiner-Müller-Tiefsinns-Zitaten auf – ohne Verweise auf den Weltbürgerkrieg und die Suche nach der verlorenen Revolution geht’s nicht. Den schönen Satz, dass der Mensch nur da ganz Mensch sei, wo er spiele, ein Satz, der ausgerechnet vom „Moraltrompeter von Säckingen“ stammt, hat das Rechthaber-Theater einer mit Thesen fuchtelnden Gesellschaftskritik gründlich vergessen. Statt zu spielen, vertreibt es sich die Zeit lieber damit, bürgerliche Lebenslügen und andere Banalitäten zu „entlarven“.

Das ist der Hintergrund, vor dem Fritschs Theater so toll leuchtet. Indem es auf all diese Rechthabereien verzichtet und den Sinnzwang fröhlich zur Implosion bringt, sorgt es für frische Luft und gute Laune. Hier ist das Spiel ganz Spiel, also zweckfrei, ohne Beweiszwang und eigentlich auch ohne sich von größerem Kontakt zur Wirklichkeit außerhalb des Spiels stören zu lassen. Indem Fritsch sein Theater der überdrehten, betont künstlichen Form ins Extrem treibt, entstehen schöne Manierismen und wunderbar verdrehte Exaltiertheiten. Hier stehen weniger Menschen, gar Charaktere auf der Bühne, sondern überdrehte Puppen, Commedia-dell’arte-Typen und Slapstickartisten.

Auch wenn in der derben, durchaus reißerischen Posse „Die spanische Fliege“, geschrieben 1913 von den Herren Arnold und Bach, lauter wilhelminische Biedermeier über ihr nicht immer sittsames Triebleben stolpern, geht es natürlich in keiner Sekunde darum, irgendeine Doppelmoral zu entlarven. Die ist hier sowieso selbstverständlich. Das schafft Raum, um sich an den virtuosen Stolperern zu vergnügen. Der Teppich, unter den die Fehltritte gekehrt werden sollen, ist hier nur noch ein Witz und ein überdimensionales Deko-Element: Nichts als ein riesiger, gewellter Perser mit eingebautem Trampolin füllt die ansonsten leere Bühne.

Fritsch emanzipiert das Theater nicht nur vom Sinn- und Botschaftszwang, er befreit es auch von der Literatur: Seine artistischen Ganzkörper-Darsteller stolpern, fallen, fliegen und zappeln, dass es eine Art hat. Der Biedermeier-Schwerenöter und Senffabrikant Ludwig Klinke in der von Fritsch transkribierten „(S)panischen Fliege“ zum Beispiel, hat sich in misshelligen Situationen eine probate Übersprunghandlung angewöhnt: Er gönnt sich ein Nickerchen. Beim furiosen Wolfram Koch sieht das so aus, dass er gleich bei seinem ersten Auftritt ausruft „Ich leg mich lang“, ein paar Schritte rennt, sich hinwirft und bis zur Rampe auf dem Bauch am Boden vorschlittert. Und natürlich ist kein Witz zu doof, ganz im Gegenteil. Wenn Koch einfach so mit einem riesigen Holzbrett im Arm herumfuchtelt, um plötzlich auszurufen, „jetzt spiele ich hier seit zehn Minuten mit so einer Latte“, ist klar, wer der Kalauerkönig des deutschen Theaters ist. Fritschs Slapstick- und Körperkomiknummern sind virtuoses Hochpräzisions-Theater. Und sie sind erfrischend mitleidlos.

Psychologie, Einfühlung, Sentiment haben bei Fritsch nicht den Hauch einer Chance. Schließlich wusste schon Henri Bergson in seinem berühmten Essay über „Das Lachen“, dass dieses „meist mit einer gewissen Empfindungslosigkeit verbunden“ ist: „Das Lachen hat keinen größeren Feind als die Emotion“.

Statt auf Empathie und Identifikation setzt Fritsch auf die pure Form und auf das reine, tolle Spiel.

„Die (s)panische Fliege“, am 10., 17. und 18. Mai, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

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