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Kultur: Herbert Wernicke inszeniert Halffters "Don Quijote"-Oper in Madrid

Der ewige Kampf gegen Windmühlen - krachende Pulsschläge im Schatten des BücherbergesJörg Königsdorf Im Jahr 1605 verpassten Spaniens Komponisten eine historische Chance: Vor ihnen lag frisch aus der Druckerpresse mit dem "Don Quijote" des Miguel de Cervantes der erste moderne Roman der Literaturgeschichte, während ein paar hundert Kilometer weiter, in Italien, gerade die Oper erfunden worden war. Doch auf die Idee, ihren fast sofort zum Nationalmythos avancierten "Ritter von der traurigen Gestalt" auch noch singen zu lassen, kamen die Spanier leider nicht - und komponierten statt dessen im Dämmerglanz des siglo de oro weiterhin Messen und Motetten zum Gottes- und Marienlob.

Der ewige Kampf gegen Windmühlen - krachende Pulsschläge im Schatten des BücherbergesJörg Königsdorf

Im Jahr 1605 verpassten Spaniens Komponisten eine historische Chance: Vor ihnen lag frisch aus der Druckerpresse mit dem "Don Quijote" des Miguel de Cervantes der erste moderne Roman der Literaturgeschichte, während ein paar hundert Kilometer weiter, in Italien, gerade die Oper erfunden worden war. Doch auf die Idee, ihren fast sofort zum Nationalmythos avancierten "Ritter von der traurigen Gestalt" auch noch singen zu lassen, kamen die Spanier leider nicht - und komponierten statt dessen im Dämmerglanz des siglo de oro weiterhin Messen und Motetten zum Gottes- und Marienlob. Der erste singende Mensch der Operngeschichte wurde Claudio Monteverdis Orpheus. Verpasst war die Chance auch deswegen, weil es mit Spanien und seiner Musik kurz danach rapide bergab ging und sich das verschmähte Genre damit rächen sollte, dass es Jahrhunderte lang Spanien zwar als Kulisse für alle möglichen Opern nutzte - "Don Giovanni", "Figaro", "Fidelio", und, natürlich, "Carmen" -, aber keine einzige spanische Oper überleben ließ. Eine echte abendfüllende Nationaloper besitzt Spanien bis heute nicht, die beste, Manuel de Fallas "La vida breve" ist zu kurz, um diesen repräsentativen Zweck erfüllen zu können.

Die Erwartungslast, die auf der Premiere von Cristóbal Halffters erster Oper lag, war von daher enorm: Denn Spaniens international wohl bekanntester lebender Komponist hatte sich nichts Geringeres vorgenommen, als das vierhundertjährige Versäumnis nachzuholen und den Nationalhelden Don Quijote endlich auch zum Nationalopernhelden zu machen. Am einzig adäquaten Platz: dem im vorvergangenen Jahr wiedereröffneten und vor Goldprunk und modernster Bühnentechnik starrenden Madrider Teatro Real.

Eine Oper, um es vorwegzunehmen, ist es trotzdem nicht geworden - eher ein szenisches Oratorium. Was vor allem daran liegt, das Halffter und sein Librettist Andrés Amorós sich gescheut haben, den Cervantes-Stoff auf seiner komisch-erzählerischen Ebene umzusetzen, sondern im "Quijote" ein Gleichnis auf das Künstlertum schlechthin sehen. Bloße Fiktionen des schriftstellerischen Genies sind all die 80 Choristen, die aus einem turmhohen Bücherberg klettern und mit geballter Fortissimo-Rohheit ihren Schöpfer quälen. Fiktionen sind die Damen Dulcinea und Aldonza, die in knallroten Riesenpumps hereingefahren werden und mit kreissägenscharfen Soprantönen den Schlaf des Dichters durchdringen.

Und Fiktion ist natürlich auch der Titelheld selbst, der seine Kämpfe mit einer roten Riesenfeder ausführt. "No eres un hombre, eres un mito" - "Du bist kein Mensch, Du bist ein Mythos", ruft ihm Cervantes, die einzige Bühnenfigur im traditionell opernmenschlichen Sinn, zu und legt damit den Finger nicht nur auf die wunde Stelle seiner Schöpfung, sondern auch auf die seines eigenen Schöpfers. Denn als Oper scheitert Halffters "Don Quijote" gerade daran, dass die Figuren im Angesicht ihres omnipräsenten Schöpfers Cervantes keine eigene musikalische Sprache gewinnen und als bloße Symbole nicht von Gefühlen singen können. Das wäre lediglich dem Dichter selbst möglich. Doch der beschränkt sich darauf, seinen Willen zur Kunst durch Zitieren einer spanischen Renaissance-Cancion zu unterstreichen und schließlich selig auf seinem Bücherberg zu entschlummern, während sein Held an einem riesigen Pegasus hängend verklärt gen Bühnenhimmel schwebt.

Mit dem weitgehenden Verzicht auf fühlend-singende Figuren gibt Halffter freilich eine wesentliche Dimension des Musiktheaters preis und kann statt innerer Konflikte lediglich die äußere Konfrontation zwischen dem Künstlerhelden und der verrohten Masse zeigen. Seine stärksten Momente hat der "Quijote" gerade in den Chorszenen, in denen Halffter ein spanisches Trinklied des Renaissance-Komponisten Juan de Encima als Gegenmotiv zur verträumten Cervantes-Cancion einsetzt: Immer wieder saust es mit der monolithischen Wucht von 80 Chorstimmen und vollem Schlagwerkeinsatz auf den Dichter und seine Figuren herab, um sich nach jeder Angriffswoge in ein babylonisch-bacchanalisches Stimmgewirr aufzusplittern.

Musikalische Entwicklungsmöglichkeiten bietet dieser statische Grundkonflikt freilich kaum: Bereits mit der ersten Konfrontation zwischen Quijote und der johlenden Masse schreitet Halffter den expressiven und dynamischen Radius seiner gemäßigt modernen, der Avantgarde der sechziger Jahre verpflichteten Musiksprache aus, auch die sorgfältige Einstudierung durch Pedro Halffter Caro, den Sohn des Komponisten, kann der Musik nicht mehr Farben entlocken. Schrecken ist bei Halffter vor allem laut, Brutalität wird durch massierte Blechbläsereinsätze und krachende Pulsschläge der großen Trommel erzeugt, nur selten läßt Halffter Raum für lyrischere Stimmungen. Die Sänger werden durch das Dauerfortissimo des Orchesters im Verlauf des Abends an den Rand der Erschöpfung getrieben. Ironie und feinere, spielerische Seiten besitzt dieser harte, grelle "Quijote" nur in Ansätzen, etwa wenn sich der Titelheld seiner Dulcinea mit ungelenken stockend rezitativischen Tönen nähert, die ihn als romantischen Träumer ausweisen und ihm für Momente einen rührend-komischen Charme verleihen.

Dieser Oper das Aneinandergereihte, oratorienhaft-Statische zu nehmen, ist eine nahezu unlösbare Aufgabe. Herbert Wernicke gelingt es dennoch, der Publikumserfolg, den das neue Teatro Real mit seiner ersten Uraufführung verzeichnen kann, ist zum wesentlichen Teil der Kraft seiner Bildlösungen zu verdanken. Auch weil Wernicke bis auf ein paar Schmuckmantillen konsequent jede Spanien-Folkloristik vermeidet und den Titelhelden jenseits aller Gustave-Doré-Klischees als verzweifelten Idealisten anlegt. So langt diese "Don Quijote"-Version letztlich weit über den national-spanischen Rahmen hinaus: Wenn der Bücherberg, den er auf der Bühne aufgeschichtet hat, langsam zu qualmen beginnt, deutet das weit über die eigentliche Romanszene auf die Bücherverbrennungen des zwanzigsten Jahrhunderts hin - ohne diesen Verweis jedoch mit platter Nazi-Symbolik zu überreizen.

"Sólo el esfuerzo vale" ruft Don Quijote seinem Freund Sancho Pansa nach dem gescheiterten Kampf gegen die Windmühlen als immunisierendes Kernmotiv seiner Künstlerexistenz zu: "Nur der Versuch zählt". Sollte er damit tasächlich recht haben, wäre das auch für alle Komponisten ein Trost.

Jörg Königsdorf

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