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Die Filmemacherin Mary Ellen Bute mit einem Oszilloskop, das elektrische Spannung in einem Koordinatensystem darstellt.

© Festival/Courtesy Cecile Starr

Heroines of Sound Festival im HAU2: Heldin der Klangarbeit

Das Festival Heroines of Sound ehrt die Film-Pionierin Mary Ellen Bute. Zwei amerikanische Komponistinnen entdecken ihr Werk neu.

Sie sah die Töne – als Farben, Formen und Bewegungen. Wenn sie Musik hörte, nahm sie eine Flut optischer, abstrakter Eindrücke wahr. Mary Ellen Bute war Synästhetikerin. Für sie bedeutete jeder akustische Reiz völlig selbstverständlich auch einen visuellen. Menschen ohne diese ineinander verschränkten Sinne können sich das nur schwer vorstellen. Ein wenig nachvollziehbarer wird es durch Butes künstlerische Arbeit. Sie war in den 30er Jahren eine Pionierin des Animationsfilms und ist doch heute weitestgehend unbekannt. All das macht sie zu einer perfekten Persönlichkeit für eine Hommage im Rahmen des Festivals Heroines of Sound.

Bereits seit vier Jahren befasst sich das Festival mit Künstlerinnen elektronischer Musik aus Vergangenheit und Gegenwart. Mary Ellen Bute selbst verarbeitete zwar Klang nur als Inspirationsquelle für ihre abstrakten Filme, doch weil das Festival dieses Jahr auch einen Fokus auf Performance- und Videokunst legt, passt sie gut hinein. Die historische „Heldin“ Bute und ihre Arbeit verankert das Festival außerdem durch drei Kompositionsaufträge in der Gegenwart. Drei Komponistinnen folgen ihrem Schaffensprozess in entgegengesetzter Richtung: Die von Bute zu Aufnahmen klassischer Musik arrangierten Filme werden neu vertont. Beim Eröffnungskonzert an diesem Donnerstag im HAU2 erklingen unter anderem zwei dieser neuen Werke: Laurie Schwartz vertont Butes „Parabola“ (1937), Evelyn Saylor die „Synchromy No. 2“. Spannend wird, wie die beiden Künstlerinnen den Werken begegnen, einzeln, im Vergleich und in der Gegenüberstellung zu Bute. Umrahmt von einem abwechslungsreichen Programm, wie beispielsweise der Präsentation des neuen Albums von Gudrun Gut, stellen die Veranstalter den neuen Vertonungen jeweils einen Film von Bute mit Originalklang gegenüber.

Versteckte Motive an wenigen Stellen

Wie findet man also Töne zu einem Film, der selbst die Verbildlichung von Musik ist? Schwartz und Saylor stehen vor gleichen Herausforderungen, wählen aber verschiedene Wege. Laurie Schwartz nähert sich „Parabola“ auf semantischer Ebene mit konzeptionellem Ansatz: „Ich habe zunächst einige befreundete Künstler und Künstlerinnen interviewt. Zum Filmtitel und der gleichnamigen, mathematischen Kurve, zur Situation von Bute, als sie in den 30er Jahren die einzige Frau auf ihrem Gebiet war, und zu Butes Person selbst“, erklärt sie. Anschließend habe sie ihr Gesprächsmaterial auseinandergeschnitten und neu angeordnet, wobei für sie sowohl die Bedeutungen der gesprochenen Wörter wie auch ihre musikalische Struktur wichtig waren. Sprechmelodie, Rhythmus, Lautstärke. So entsteht eine auf den Film konzipierte Tonspur auf Grundlage von spontan Gesagtem. So eng sie mit dem Film zusammenhängt, so unabhängig läuft sie doch von ihm ab, denn ob Bild und Ton synchron verlaufen, spielt für Schwartz keine Rolle. Zumindest nicht ganz außer Acht lassen wollte sie schließlich noch das Werk, das einst Bute inspirierte: Darius Milhauds „Création du monde“. An wenigen Stellen hat sie dafür Motive von Milhaud in ihre Komposition eingefügt. Der Hörer wird allerdings kaum den Ursprung dieser Töne erkennen, so sehr hat Schwartz die aufgenommene Violine elektronisch verfremdet.

Bei der Neuvertonung von „Synchromy No. 2“ hat auch Evelyn Saylor über den Bezug zur Komposition nachgedacht, die Butes Grundlage war. In ihrem Fall Wagners „O du mein holder Abendstern“ aus „Tannhäuser“. Während Schwartz verfremdete Motive einbaut, besteht in Saylors Werk die Verbindung zu Wagner über die Form. Nach einer genauen Analyse von Butes Werk habe sie festgestellt, dass Bute „in ihrem Film genau Wagners Form folgt. Mein Stück folgt darin wiederum dem Werk von Bute, sodass es letztendlich über sie eine Verbindung zu Wagner gibt.“ Die Herangehensweisen beider Komponistinnen ähneln sich auch in vielem. Saylor greift ebenfalls auf die menschliche Stimme zurück und verändert wie ihre Kollegin weder Frequenzen noch manipuliert sie den Ton. Stattdessen entsteht auch bei ihr das Elektronische im Klang durch neue Zusammenschnitte. Die folgen einem gründlich überlegten Muster, teils per Computerprogramm umgesetzt, teils im kreativen Schaffensprozess. Als Klangquelle nutzt sie aber die eigene Stimme, singt ausschließlich Phoneme, Vokale und die dazwischen liegenden Laute. Also keine konkreten Wörter, wie sie Schwartz bewusst einsetzt.

Analog trifft auf digital

Saylors Arbeit dreht sich zudem um einen Berührungspunkt von Digitalem und Analogem. „Zerschneiden und Aneinanderfügen der Stimmen geben dem Klang etwas Technisches. Egal wie zackig du versuchst zu singen, es wird dir nie gelingen, genauso zu klingen. Und doch hat der Klang etwas Menschliches, weil wir eine echte Stimme hören. Als Instrument gibt es nichts Vergleichbares“, sagt sie. Einer ähnlichen Schnittstelle begegnet sie bei der Feinabstimmung der Musik auf die Bilder: Während Bute Musikaufnahmen von Orchestern verwendet hat, die sich ganz organisch Freiheiten im Tempo nehmen, ist Saylor durch ihr Schnittverfahren auf eine Grundlänge ihrer Tonschnipsel festgelegt. Auch hier trifft das Analoge auf das Digitale: das lebhaft Organische auf das maschinelle Korsett eines Programms.

Die Amerikanerinnen verbindet viel. Beide leben in Berlin, die eine seit vielen Jahren, die andere erst seit wenigen. Beide komponieren elektronische Musik, am liebsten ausgehend von der Stimme. Umso erstaunlicher, dass sie nicht mehr als den Namen der anderen kennen, vom Programmzettel. Aber das passt, denn so viel sie verbindet, so viel unterscheidet sie. Während Saylor besonnen nach Worten sucht, sich Zeit für ihre Antworten im Gespräch nimmt und Ruhe ausstrahlt, geht von Schwartz lebhafte Energie aus. Sie redet schnell, findet flott Formulierungen. Die 28-jährige Saylor steht als freischaffende Komponistin mit einem Lehrauftrag für elektroakustische Komposition an der UdK noch eher am Anfang ihrer Karriere. Die 65-jährige Laurie Schwartz kann dagegen auf eine immer noch sehr erfolgreiche Laufbahn als Komponistin, Journalistin, Kuratorin und Übersetzerin zurückblicken.

Es ist besonders die Mischung der Ebenen, die das Eröffnungskonzert hörenswert macht: der Mary-Ellen-Bute-Block, die Vergleiche zwischen den Komponistinnen und mit dem Werk Butes – ein Blick auf das heldinnenhafte Schaffen der mit Elektronik arbeitenden Künstlerinnen aus Vergangenheit und Gegenwart.

Heroines of Sound, 6.-8.12., HAU2, Eröffnungskonzert am 6.12., 20 Uhr

Jonas Zerweck

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