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Donald Runnicles, 56, ist seit Herbst 2009 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin. Zuvor hatte er als Chefdirigent an der Oper von San Fransciso gearbeitet. Der Brite dirigiert am 13. März die Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ (Regie: Graham Vick) an der Deutschen Oper.Foto: Pablo Castagnola

© Pablo Castagnola

Kultur: Herr des Schweigens

Donald Runnicles, Musikchef der Deutschen Oper, über seine „Tristan“-Premiere und die Zeit nach Kirsten Harms

Mr. Runnicles, ist „Tristan und Isolde“ die großartigste Oper, die je komponiert wurde?

Es ist eine Oper, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Ich habe mich schon als Student in Isolde verliebt, damals in Edinburgh, als ich an der Uni die Metaphorik von Debussys „Pelléas et Mélisande“ und Wagners „Tristan“ verglich: Wald und Meer, Dunkelheit und Licht. Darum ist es eine Freude für mich, dass ich in dieser Spielzeit beide Werke in Berlin dirigieren kann. Die Musik beim „Tristan“ wirkt wie aus einem Guss, nicht konstruiert, sondern geschaffen im Rausch.

Für die Sänger ist „Tristan“ mörderisch anstrengend, für den Dirigenten aber pure Freude. Schließlich ist der interessanteste Akteur des Werkes das Orchester.

Das Orchester weiß viel mehr über die Gefühle der Personen als diese selbst. Die instrumentale Ebene entspricht hier dem menschlichen Unterbewusstsein. Vieles, was die Sänger singen, wird vom Orchester korrigiert. Dass man beständig eine Spannung zwischen den Protagonisten spürt, liegt ebenfalls am Orchesterkommentar. Es gibt in diesem Werk nur ein Minimum an äußerer, aber ein Maximum an innerer Handlung.

Wie lässt sich ein so ekstatisches Werk proben?

Man kann sich fragen, wie oft man diese Gefühle wiederholen kann, damit der Dirigent an der Balance feilen kann, hier ein Tempo verändern oder da die Intonation optimieren. Dann aber kommt die Aufführung – und es entwickelt sich eine ganz eigene Intensität. Besonders an diesem Haus: Am Abend erlebe ich das Orchester oft verändert, da werden Energien freigesetzt. Das war eine sehr angenehme Überraschung. Das ist wie bei einem guten Auto – es gibt immer noch einen Gang, den man hochschalten kann!

Gute Musiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie mitdenken, anstatt nur darauf zu warten, dass der Dirigent ihnen alles vorgibt.

Das stimmt. Wir haben jetzt zum Beispiel gerade mit der Aufstellung im Orchestergraben experimentiert, weil es mir wichtig ist, dass sich die einzelnen Instrumentengruppen hören können. Nur so merken sie, wo sie gemeinsam mit anderen atmen müssen oder sich gegenseitig begleiten. Das wiederum befreit mich davon, meine Kraft für die pure Koordination der Stimmen zu verbrauchen.

Petra-Maria Schnitzer wagt sich in der Neuinszenierung erstmals an die Partie der Isolde.

Ich denke, dieses Debüt kommt im richtigen Moment für Petra. Und sie hat ihren Mann Peter Seiffert als Tristan zur Seite. Vor ein paar Jahren haben wir zusammen mit dem Regisseur Graham Vick in San Francisco Wagners „Tannhäuser“ gemacht – eine tolle Erfahrung. Wir haben sofort überlegt, was wir als Nächstes machen. Da konnte ich das Berliner „Tristan“-Projekt aus dem Hut zaubern.

Im italienischen Repertoire ist es üblich, nach den Arien zu klatschen. Daran lässt sich die Stimmung im Saal leicht ablesen. Beim „Tristan“ dauert es mindestens 90 Minuten bis zum ersten Applaus, nämlich bis zum Ende des ersten Aktes.

Dennoch spüre ich ganz deutlich die Energie in meinem Rücken. Im „Tristan“ ist ja auch die Stille ein Teil der Komposition. Und wenn das Orchester bewusst schweigt, weil auch die Darsteller sich gerade etwas verschweigen, kann man gleichzeitig hören, ob die Stille im Zuschauerraum intensiv ist, oder ob die Leute unbeteiligt schweigen, ob es eine leere Stille ist.

Sie haben angekündigt, dass es in den kommenden Spielzeiten einen Benjamin-Britten-Schwerpunkt an der Deutschen Oper geben wird. Ist die Beschäftigung mit Ihrem Landsmann Chefsache?

Absolut! Ich liebe diese Musik. „Billy Budd“ und „Peter Grimes“ gehören zu den besten Opern des 20. Jahrhunderts.

Hatten Sie eigentlich schon Gelegenheit, Vorstellungen in den anderen Berliner Opernhäusern zu hören?

Ich war neulich bei der „Rusalka“-Premiere in der Komischen Oper. Ins Schillertheater habe ich es noch nicht geschafft. Ich pendele zwischen Europa und San Francisco, wo meine Familie lebt. Darum will ich mich, wenn ich in Berlin bin, um die Deutsche Oper kümmern. Im Sommer aber zieht meine Familie hierher.

Parallel zu Ihrem Job an der Deutschen Oper haben Sie auch die Stelle als Chefdirigent des BBC Scottish Symphony Orchestra angetreten. Brauchen Sie da nicht einen 1. Kapellmeister, der in Berlin für Kontinuität sorgt?

Mir war es zunächst wichtig, einen Assistenten zu engagieren. Auch ich war als junger Mann Assistent an Repertoire-Theatern und habe dabei viel gelernt. Zusammen mit dem Orchester haben wir uns für Evan Rogister entschieden. Außerdem setzten wir auf kontinuierliche Zusammenarbeit mit Gastdirigenten wie Andrew Litton, Alexander Joel oder Guillermo García Calvo.

Zum Sommer verlässt Kirsten Harms das Haus, ihr Nachfolger Dietmar Schwarz wird zum Herbst 2012 Intendant. Wer hat in der Zwischenzeit den Hut auf?

Weil im Opernbetrieb immer weit im Voraus geplant wird, sind alle künstlerischen Entscheidungen für die nächste Saison gefallen. Da ich zum anderen wenig für Hierarchien übrig habe, arbeiten wir immer im Team. Ich wünsche mir tolle Produktionen mit spannenden Regisseuren und großartigen Gastdirigenten. Ich bin keiner, der sich die Rosinen rauspickt. Das heißt, ich werde mir die Alltagsarbeit in der Übergangsphase mit unserem Operndirektor Christoph Seuferle und dem neuen Geschäftsführer Thomas Fehrle teilen. Und mit Dietmar Schwarz kommuniziere ich seit dem Tag seiner Wahl, was die langfristige Linie betrifft.

Haben Sie einen Lieblingssatz im Libretto?

Oh, ja! (läuft zum Flügel). Hier! (rezitiert) Tristan, finster: „Des Schweigens Herrin heißt mich schweigen. Fass ich, was sie verschwieg, verschweige ich, was sie nicht fasst.“ Noch Fragen?

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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