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Obenauf. Sabine Waibel als Frau Doktor Stockmann. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Kultur: Herrin und Hündchen

Leicht läppisch: Ibsens „Ein Volksfeind“ – nach der Schaubühne nun auch am Maxim Gorki Theater.

Das Sofa ist natürlich ein Ostermeier-Zitat. Steht vorn ziemlich groß auf der Bühne, in fiesem Grün-Gelb. Die Sitzfläche ist so höllisch hoch, dass alle Männer, die darauf Platz nehmen, mit in der Luft hängenden Füßchen zu lächerlichen Zwergen schrumpfen. Nur die Frau im Haus, Frau Doktor Stockmann, macht auf dem Monstrum bella figura. Sie liegt lässig oder thront im Schneidersitz, halb Königin der Verknechtung, halb Guru der Aufrichtigkeit.

„Eigentlich wollten wir ja ein Ledersofa kaufen. War aber zu teuer“, sagt sie, und das Publikum lacht, denn das Publikum weiß natürlich, dass sich Sabine Weibel in der „Volksfeind“-Inszenierung am Maxim Gorki Theater damit auf die Inszenierung von Thomas Ostermeier bezieht. Der hatte Ibsens „Ein Volksfeind“ erst vor drei Wochen aus Avignon nach Berlin mitgebracht und dafür eine schick schrammelige Berlin- Mitte-Wohnung in die Schaubühne zimmern lassen, in der mehrere reale oder an die Wand gezeichnete Ledermöbel eine zentrale Rolle spielen.

Ist das der selbstreferentielle Bonsaihumor dieses Abends? Ohne Hemmung die Gnade der späteren Premiere ausnutzen und ein paar Wir-wissen-dass-ihrwisst-Kalauer abstauben? Ja und nein. Ja, die Theaterwelt wirkt mit ihren läppischen Querverweisen an diesem Abend besonders klein. Nein, denn die dritte „Volksfeind“-Inszenierung in Berlin innerhalb weniger Monate (auf dem Theatertreffen lief schon Lukas Langhoffs Version aus Bonn) trumpft mit so etwas wie einem Clou auf: Bei Jorinde Dröse ist Stockmann, der die Wahrheit über verunreinigtes Wasser sagt und dabei die bessere Stadtgesellschaft erst mitreißt und sie dann gegen sich aufbringt, eine Frau. Und die Konstellationen, die sich aus dieser Verschiebung ergeben, führen tatsächlich zu einer handvoll witziger Szenen und schön beobachteter Miniaturen über die Gegenwart.

Wenn hier die starke Frau das geregelte Einkommen und die umstürzlerischen Ideen nach Hause bringt, was macht der Mann? Er kümmert sich um die Zwillinge und steht am Herd, allerdings an einem zeitgenössischen. Wie einen Cocktail schüttelt er die Kokosmilch, bevor er sie in den Wok schüttet, der vor ihm steht wie ein Plattenteller. Der Hausmann von heute als Mischung aus Barmann und DJ, ein cooler Hund, der sofort zum Hündchen mutiert, sobald seine Frau nach einer Blumenvase brüllt. Wie Cornelius Schwalm den trendig sensiblen und an Kindererziehung interessierten Mann zum depperten Weichei werden lässt – das ist schon eine Augenweide.

Ähnlich wie Thomas Ostermeier bezieht auch Jorinde Dröse Ibsens Kleinstadtbevölkerung auf die empörten Narzissten von heute. Nur geraten ihre Figuren nicht so holzschnittartig, schlüpfen spielerischer in Klischees rein und wieder raus – freilich so souverän, dass die Übergänge zum kabarettistischen Selbstzweck fließend sind (ein am Gorki inzwischen pathologisches Phänomen). Die famose Sabine Weibel als rabiate Badeärztin trifft die Nuancen der Selbstgerechtigkeit mit staunenswerter Präzision bis in die wie gezeichnete Krümmung des Mundwinkels hinein, führt ihre gefundenen Gesichtsausdrücke dann aber schwelgerisch viel zu lang spazieren.

Egal. Die Sollbruchstelle jeder „Volksfeind“-Inszenierung markiert ohnehin die revolutionäre Rede des Badearztes vor der Stadtgesellschaft – und hier scheitert Dröse genauso wie Ostermeier. Beide versuchen dabei das Publikum zu involvieren, so etwas wie einen Moment der wahren Empörung zu kreieren, die vermaledeite Membran zwischen Kunst und Wirklichkeit zu durchstoßen. Bei Thomas Ostermeier wird zu diesem Zweck ein linksradikales Manifest vorgetragen. Bei Jorinde Dröse geht’s nach der Pause im Foyer weiter, wo die Ärztin zwischen weintrinkenden Zuschauern über den Hass als einziges Mittel gegen die Zustände monologisiert und schließlich, wieder auf der Bühne, einen Revolutionscountdown abzählt. Bei null, dem Moment der Gesellschaftsexplosion, fällt das Theater ins Dunkel.

Oh, je. Nur weil die Probleme der Welt drängender werden, müssen die Theatermacher auf der Suche nach Relevanz nicht auf hilflose Pathosposen Pubertierender verfallen. Andreas Schäfer

Wieder 3. und 19. Oktober

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