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Gustavo Dudamel

©  Adam Latham

Musikfest Berlin: Gustavo Dudamel und die „Turangalîla“-Sinfonie: Herzen in Aufruhr

Seelenleben eines Teenagers: Beim Musikfest Berlin dirigiert Gustavo Dudamel Messiaens monumentale „Turangalîla“-Sinfonie.

„Bordellmusik“ hat Pierre Boulez diese Partitur genannt. Ein klassisches Fehlurteil. Denn so grell geschminkt, so exaltiert und, ja auch, ranschmeißerisch Olivier Messiaens „Turangalîla“-Sinfonie daherkommt – um Erotik geht es hier nicht, um Fleischeslust oder Sextrieb. Bei der heftig beklatschten Aufführung des 80-Minüters durch Gustavo Dudamel und sein Orquestra Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela im Rahmen des Musikfests Berlin lässt sich dieses monumentale Werk vielmehr als Beschreibung des Seelenlebens eines Teenagers erleben.

Denn wie empfinden junge Menschen in den Jahren der chronischen Hormonverwirrung? Wild und leidenschaftlich, aber vor allem nicht geradlinig. Genau so funktioniert auch Messiaens Sinfonie: Unablässig schwankt die Stimmung zwischen Rebellion und Kitsch, Fortissimo- Extreme von höchster Aggressivität stehen neben traumverlorenen Passagen. Immer wieder wird das Riesenorchester, das die Bühne der Philharmonie bis auf den letzten Quadratzentimeter besetzt, von den verstörenden Sounds der Ondes Martenot übertönt, jenem 1928 entwickelten Urahn der elektronisch verstärkten Instrumente, das sirenenhafte Spitzentöne produzieren kann, zumeist aber nach schlechtem Empfang auf einem Kurzwellensender klingt. Unermüdlich pflügt Jean-Yves Thibaudet dazu über die Tastatur des Flügels, napoleonhaft wogt Gustavo Dudamels Figur auf und ab in der akustischen Brandung.

Melancholisch und ausgelassen

Mit der zweiten Suite aus Heitor Villa- Lobos’ „Bachianas Brasileiras“ hatte der Abend geradezu romantisch begonnen. Mit der weltläufigen Musik eines in Paris ausgebildeten Südamerikaners, die von einem eigenwillig bebenden Puls getragen wird. Die venezolanischen Musiker verstehen ihn auf berührende Weise nachzuempfinden, im intensiven melancholischen Gesang ebenso wie in den ausgelassenen Tanzpassagen.

Reif und abgeklärt wirken die „Bachianas“ im Vergleich zum anschließenden Emotionsorkan der Turangalîla. Eine existenzielle Erfahrung, wie die Pubertät. Mit dem kleinen Makel, dass beide – Sinfonie wie Erwachsenwerden – stets ein wenig zu lange dauern.

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