zum Hauptinhalt

Kultur: Heute Eröffnung in Barcelona mit "Turandot"

Dirigent Bertrand de Billy wird sekundengenaue Arbeit leisten müssen, wenn das Orchester zur Wiedereröffnung des Teatre del Liceu heute abend erst die spanische Hymne und dann die katalanische spielen wird. Zwei Hymnen in exakt derselben Länge, das klingt exzentrisch, muss aber sein.

Dirigent Bertrand de Billy wird sekundengenaue Arbeit leisten müssen, wenn das Orchester zur Wiedereröffnung des Teatre del Liceu heute abend erst die spanische Hymne und dann die katalanische spielen wird. Zwei Hymnen in exakt derselben Länge, das klingt exzentrisch, muss aber sein. Das Gran Teatre del Liceu liegt an den Ramblas in Barcelona, und die Barceloneser halten sehr auf das autonome Katalonien - was der Erste aller Ehrengäste, der spanische König Juan Carlos I., ebenso respektiert wie er die nationale Klammer setzt. Ein König, zwei Hymnen also. Mögen aber König, Politiker, Honoratioren, Mäzene (ganz wichtig) die Wiedereröffnung in tadellosem Zeremoniell absolvieren - die "aficionados", die Fans haben in "ihrem" Liceu längst Platz genommen.

Sie waren es, die noch vor der Gala des 7. Oktober eine Vorstellung der Puccini-Oper "Turandot" durchgesetzt hatten, sie waren es, die die Idee des Liceu in den Jahren der Rekonstruktion hochgehalten hatten. "Ius primae noctis", an sich königliches Recht, war mit ihnen nicht zu machen. Das Liceu, 1847 errichtet und mehr als ein Jahrhundert unterhalten vom wohlhabenden Bürgertum - was der "goldenen Rumpelkammer" den Vorwurf des "Refugiums einer reaktionärem Bourgeoisie" eintrug -, ist Ausdruck von Bürgerstolz, sie ist eine Herzkammer barcelonesischer Identität, darin vergleichbar dem Fußballklub C.F. Barcelona.

Am 31. Januar 1994 war das Liceu in seinem Inneren ausgebrannt, hatte die legendäre "Sala" in Schutt und Asche gelegt. Es wurde geweint, groß, klein, alt, jung, prominent oder nicht fanden sich mit (katalonischen) Opernstars zur Totenwache ein. Die Feuersbrunst entzündete einen Feuereifer. "Alle Parteien der Stadt", berichtet Pressesprecherin Adela Rocha, "alle politischen Verantwortlichen bis hin zur spanischen Regierung wollten das Liceu aus den Ruinen auferstanden sehen." Der Druck der Öffentlichkeit muss enorm gewesen sein, nicht umsonst haben sich Opernliebhaber an jedem Sonnabend bei der Ruine versammelt; teils unter Mitwirkung von Heroen wie José Carreras wurden Arien und Chorpartien vorgetragen. Rasch war die "Fundació Gran Teatre del Liceu" ins Leben gerufen, ein Kuratorium aus öffentlicher Hand und privaten Trägern. Über 110 Millionen Mark sind in den Bau geflossen, außerdem hat sich die Fundació verpflichtet, den Spielbetrieb für die nächsten vier Saisons zu finanzieren. "El Liceu de tots", das Liceu aller für alle, heißt der Slogan, der die "Teilnahme aller an einem gemeinsamen Traum" erfasst.

Der Architekt Ignasi de Sola-Morales nennt die Hausnummer La Rambla 51 - 59 einen "Dialog aus altem Opernhaus und modernem Musiktheater". Die Grundfläche, verdreifacht auf 36 000 Quadratmeter, bietet sämtliche Faszilitäten aktuellen Opernbetriebs; viele Raumlösungen, der Enge der Umgebung geschuldet, präferieren die Vertikale. Da wirkt nichts wuchtig, kein Implantat, nur ein langgestrecktes Gebäude in einem kleinteiligen Häuserchaos. Nur schwer kann der Blick die Rambla-Fassade verfolgen, selbst wenn für die Erweiterung des Liceu 90 Nachbarn um ihre Wohnungen und Läden gebracht wurden. Das originale Theaterhaus war derart ins Barrio Chino gekantet, dass die Bühnenbilder in tausendundein Teil zerlegt durch eine kleine Buchhandlung ins Theater getragen wurden.

Die Inszenierung zur Neu- und Wiedereröffnung nimmt solche Tradition auf und erweitert sie: üppig, beinahe verschwenderisch zeigt sich das Bühnenbild von Enzio Frigerio in der Koproduktion der Opernhäuser von Barcelona, Toulouse und Bilbao für Puccinis "Turandot". So golden und so prächtig die Drachen auf der Bühne blecken, so golden und prächtig strahlt das Auditorium, das durch die Ränge aus rotem Samt, ondulierter Brüstung und überraschender Intimität trotz der 2320 Plätze seine schwingende Magie entfaltet. Der katalanische "Noucentisme"-Stil feiert seine gekonnte Replik und findet in der Bühnen-"Turandot" seine Fortsetzung. Die gravitätische Regie von Núria Espert verharrt in Opulenz von Bewegung und Geste, allein der Tod jener Prinzessin von China setzt ein kleines interpretatorisches Fragezeichen.

Der musikalische Direktor Bertrand de Billy kennt die Vorlieben der Stammgäste - Belcanto und Wagner - und er wird sie in der ersten Saison nicht enttäuschen. Neben der Rarität "Die Sache Makropoulos" von Leos Janacek zeigen "Lucia di Lammermoor" (Gaetano Donizetti), dann Verdi, Bellini, Richard Wagners "Lohengrin" in der Hamburger Inszenierung von Peter Konwitschny die ganze Bandbreite. Was Zahl und Rang der Interpreten angeht, zeigt das Haus seinen Willen zur Pracht und zur Herrlicheit der Stimmen: natürlich fehlt keine iberische Goldkehle, um dem Liceu seine Reverenz zu erweisen. Das Musiktheater will und es muss in die Champions League der Opernhäuser - das erwarten Besucher, Stadt und Region. Nicht zuletzt soll ja die Hauptstadt Madrid mit ihrem Teatro Real ausgestochen werden.

Anders als das alte Liceu wird sich das Haus für Liederabende und Konzerte öffnen, auch, um das hauseigene Orchester in seinem Niveau zu stablisieren und zu steigern. Heute abend freilich wird erst einmal große Oper gefeiert, ab morgen wird Musiktheater gearbeitet an der Rambla 51 - 59.Der Fernsehkulturkanal Arte überträgt heute ab 20 Uhr den Gala-Abend zur Wiedereröffnung des Gran Teatre del Liceu; nach der Oper "Turandot" geht Moderatorin Annette Gerlach in Barcelona auf Entdeckungsreise

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false