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Kultur: Hey, Honey

Was uns verbindet, was uns trennt: Eine Doppelausstellung in Leipzig zeigt die Kunst der 80er in Ost und West

Von Christina Tilmann

Der Schock sitzt tief: Als Weimar, damals Kulturhauptstadt Europas, 1999 im Rahmen der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ die Kunst der DDR in Nachbarschaft zur NS-Kunst zeigte, schien das kaum gekeimte Pflänzchen der deutschen Einheit zumindest auf künstlerischem Gebiet schon wieder rettungslos zertreten. Auf der einen – westlichen – Seite stand der Generalverdacht staatlich gelenkter Propagandakunst, auf der anderen – östlichen – der berechtigte Vorwurf uninformierter Überheblichkeit. Die lieblose Hängung in Dreierreihe auf grauer Plastikplane in den schlecht ausgeleuchteten, historisch kontaminierten Räumen des NS-Gauforums tat ihr Übriges, Assoziationen an die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ zu wecken und eine Diskriminierung ostdeutschen Kunstschaffens durch den Westen zu bestätigen.

Das soll jetzt anders werden: „Das deutsch-deutsche Miteinander der letzten zwölf Jahre ist denkbar schlecht gelaufen“ bestätigt auch Bernd Lindner, Leiter eines Großprojekts, das das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig gemeinsam mit dem örtlichen Museum der bildenden Künste quasi als Wiedergutmachung gestemmt hat. Die Doppelausstellung „Klopfzeichen. Kunst und Kultur der 80er Jahre in Deutschland“ erzählt eine andere Geschichte: Die der grenzüberschreitenden Solidarität, der Künstlerfreundschaften, Einflüsse und Bewunderung. Der Feind war der Staat, und im gegenseitigen Hilfeleisten waren die Künstler in Ost und West auf der Suche nach einer wirkungsvollen Staats- und Gesellschaftskritik vereint.

Diese freundliche Historie wird auf zwei Ebenen ausgebreitet: der biographischen und der künstlerischen. „Mauersprünge“, der erste Teil, den das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig ausrichtet, wählt den emotionalen Zugang und präsentiert die ost-westlichen Kulturbeziehungen des letzten Jahrzehnts deutscher Teilung als Anekdoten- und Erinnerungssammlung. Dabei soll, so Thomas Krüger, Leiter der ebenfalls beteiligten Bundeszentrale für politische Bildung, der Blick nicht einseitig auf eine Hälfte des Landes gelenkt werden: Der „komparatistische Ansatz“ soll die geteilte Vergangenheit gemeinsam rezipierbar machen.

Ob das gelingt, ist allerdings zweifelhaft: „Mauersprünge“ lebt vom „Intensitätsgrad der Gefühle“ (Alexander Kluge), die der Besucher mit den Exponaten verbindet. Und die sind je nach Generation und Herkunft sehr verschieden. „Die Frage der Ausstellung ist: Welche Zeichen versteht wer?“, fasst Hermann Schäfer vom Bonner „Mutterhaus“, dem Haus der Geschichte, zusammen. Die Kuratoren haben sich daher entschlossen, am besten alle zu bedienen: Die, die Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ oder Manfred Krugs „Liebling Kreuzberg“ kennen und die, die einer Szene begegnen, die ihnen nicht zugänglich war. Erinnerung und Aufklärung also gleichermaßen. Dadurch ist die Ausstellung extrem kleinteilig und labyrinthisch geworden und wirkt gelegentlich wie eine Rumpelkammer voller Memorabilia. Eine Vielzahl von Objekten und Biographien informiert, belehrt – die Informationen verknüpfen, Stellung beziehen, eine eigene These wagen, das tut „Klopfzeichen“ nicht.

Blumen für Biermann

Alles beginnt natürlich bei dem Beispiel staatlicher Willkür und künstlerischer Solidarität: Wolf Biermanns Ausbürgerung 1976 nach dem Konzert in Köln. Die beeindruckende Liste von Kollegen und Freunde, die – Karriere und Sicherheit riskierend – im Osten gegen die Ausbürgerung protestierten wie auch die Fülle der Solidaritäts-, Prostest- und Sympathieadressen, die Biermann in Günter Wallrafs Wohnung in Köln erreichten, legt tatsächlich so etwas wie eine grenzüberschreitende Künstlersolidarität nahe. Der Streit um die Beteiligung ostdeutscher Maler an der ein Jahr später stattfindenden „Documenta 6“ beweist das Gegenteil: Künstler wie Baselitz und Lüpertz ziehen ihre Beteiligung zurück, Pencks Beitrag wird eigenmächtig abgehängt, und es entbrennt ein kleinlicher Streit darum, ob die DDR-Künstler Heisig, Tübke, Sitte und Mattheuer zu viel oder zu wenig Platz, zu große oder zu kleine Räume erhalten haben.

Damit sind die Pole persönlicher Solidarität und politischen Konflikts benannt, die sich durch die Ausstellung ziehen. Entlang einer grauen Mauer, die durch einzelne Stege und Kabinette durchbrochen, „übersprungen“ wird, rollt ein biographisch-objektbezogenes und schmerzloses Zeitpanorama ab. Kultobjekte wie die Lederjacke, die Udo Lindenberg Erich Honecker vermachte und die Trompete, die Honecker als Gegengeschenk zurückgab, der Schreibtisch, den Biermann vor seinem Aufbruch in zwei Teile zersägte und der jetzt wieder vereint wird, die Fan-Artikel, die für die 1984 kurzfristig abgesagte BAP-Tournee geplant waren sowie die wandfüllende Installation, in der BAP-Chef Wolfgang Niedecken die enttäuschten Fan-Briefe aus der DDR in Flaschen abfüllte, werden wie Reliquien präsentiert. Mindestens ebenso eindrucksvoll sind die per Schreibmaschine kopierten Tagebücher von Max Frisch, die Postkarten, die Jurek Becker aus allen Teilen der Welt an Manfred Krug schrieb oder die handschriftlich ergänzte Ausgabe von Christa Wolfs „Kassandra“.

Der Blick der Kuratoren ist dabei – komparatistischer Ansatz hin oder her – zwangsläufig einseitig: Nicht die gesamtdeutsche Szene, sondern nur die von Ost nach West gewanderte wird gezeigt. Mehr als 350 Künstler, Schriftsteller, Musiker und Schauspieler haben in den 80er Jahren in Folge der Biermann-Ausbürgerung die DDR verlassen. Diejenigen, die den umgekehrten Weg von West nach Ost wählten wie der Schriftsteller und Maler Karl Hermann Roehricht, die Autoren Joachim Seyppel, Gisela Kraft und Ronald Schernikau lassen sich an einer Hand abzählen. Dass Schauspieler wie Manfred Krug, Angelika Domröse, Katharina Thalbach und Armin Müller-Stahl, Regisseure wie Egon Günther und Frank Beyer, Heiner Müller, Adolf Dresen und Einar Schleef, Schriftsteller wie Ulrich Plenzdorf und Jurek Becker, Musiker wie Nina Hagen, Veronika Fischer oder Gina Pietsch die westdeutsche Fernseh-, Film-, Musik- und Literaturszene der 80er Jahre bereichert haben - die Erinnerung daran heilt manche Wunde.

Freundschaft und Verrat

Mehr jedoch als die Aufzählung von Filmen, Buchtiteln, Inszenierungen und Platten hätte angesichts der persönlichen Tragödien interessiert, wie sich der Heimatverlust in der Kunst widergespiegelt hat. Was unterschied die DDR-Künstler von ihren westdeutschen Kollegen? Konnten sie in der Bundesrepublik besser, schlechter oder - wie zum Beispiel Hilmar Thate - überhaupt nicht arbeiten? Wer hat sich richtig, wer falsch verhalten? Alles Fragen, die angesichts der mit Missverständnissen und Emotionen aufgeladenen Beziehungen zumindest gestellt, vielleicht auch beantwortet werden sollten. Versöhnlichkeit und persönliche Freundschaft schön und gut - aber was ist mit Sascha Anderson? Was mit der Hexenjagd auf Christa Wolf nach 1989?

„Wahnzimmer“, der vom Museum der bildenden Künste konzipierte zweite Teil, geht den anderen – unbequemeren – Weg. Die von Eckhart Gillen und Eugen Blume kuratierte Ausstellung konzentriert sich ganz auf die Malerei der 80er Jahre, stellt Ost- und Westkunst kommentarlos nebeneinander und lässt die Bilder sprechen. Biographisches wird man hier vergeblich suchen: Der Ausstellungsbesucher ist auf sich gestellt.

Die unterschiedliche Herkunft aus der realistischen Nachkriegsmalerei eines Hans Grundig und Theo Balden (Ost) oder der abstrakten Farbmalerei eines Nay oder Schumacher (West) wird im Prolog gezeigt. In den 80er Jahren jedoch sind die Künstler einander näher als zuvor: In der gemeinsamen Bewunderung für Joseph Beuys, der in der Kunst ein Gesellschaftsmodell jenseits von Kapitalismus und Kommunismus suchte, in der Erforschung des Stadtraums durch das „Büro Berlin“ (West) und den „Kunstraum Sredzkistraße“ (Ost) sowie im kalten, objektivierten Blick auf die Stadt in den Fotos eines Ulrich Wüst (Ost) oder Thomas Ruff (West). Die tiefe Depression, das Gefühl des Gefangenseins und der spießigen Enge, die Erfahrung des persönlichen Verrats, mit der Ralf Kerbach und Cornelia Schleime für ihre Freunschaft mit Sascha Anderson zahlten, die spielerische Kritik und obsessive Beschäftigung mit deutscher Geschichte eint die Künstler einer wenig glücklichen Epoche.

Ein Jammer, ja, ein Skandal ist es, dass Berlin sich diese Chance, sich der jüngeren, in der Stadt noch so gegenwärtigen Vergangenheit zu stellen, entgehen lässt. Die Verärgerung über den kurzfristigen und wenig diplomatischen Rückzug von Peter-Klaus Schuster, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, der die Doppelausstellung ursprünglich in die Neue Nationalgalerie übernehmen wollte, eint in Leipzig alle Beteiligten. „Irritierend“, „unwürdig“, „unhöflich“ sind noch die mildesten Vokabeln. „Die Ausstellung Mauersprünge gehört in die Stadt der Mauer“, erklärt Hermann Schäfer, der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Nun wird die Ausstellung im Anschluss ins Museum Folkwang nach Essen wandern – und dort, im tiefsten Westen, erst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Die Auseinandersetzung wird schon noch folgen.

Klopfzeichen: Zeitgeschichtliches Forum Leipzig und Museum der Bildenden Künste Leipzig, bis 27. Oktober. Di-Fr 9-18 Uhr, Sa, So 10-18 Uhr, Katalog: 20 Euro.

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