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Kultur: Hier spazieren zu gehen, ist eine dolle Sache: George Grosz fotografiert New York

Hüte, es gab kaum einen Mann, der seinen Kopf unbedeckt auf der Straße zeigte. Hüte gehörten damals noch zur Alltagsuniform, genau wie die mehrteiligen, meist mit einer Krawatte imponierenden Anzüge der Herren – und die Handschuhe, Silk Stockings und Sommerkleider der Damenkonfektion.

Hüte, es gab kaum einen Mann, der seinen Kopf unbedeckt auf der Straße zeigte. Hüte gehörten damals noch zur Alltagsuniform, genau wie die mehrteiligen, meist mit einer Krawatte imponierenden Anzüge der Herren – und die Handschuhe, Silk Stockings und Sommerkleider der Damenkonfektion. Dabei muss dieser 4. Juni 1932 ein heißer Tag gewesen sein, man sieht es am gleißenden Licht und den harten Schatten. „Ich besaß nur europäische Kleidung und schwitzte furchtbar“, notierte George Grosz später in seiner Autobiografie. „Das Wasser lief mir buchstäblich unten aus den Hosenröhren hinaus.“ Am 3. Juni war er an Bord des Ozeandampfers „New York“ in der Millionenmetropole angekommen und in einem Hotel an der 57. Straße abgestiegen, schräg gegenüber der Art Student League, die ihn für zwei Monate als Zeichenlehrer engagiert hatte. „Bin von der Fülle der märchenhaften Eindrücke überwältigt. Es ist einfach doll – gar nicht zu beschreiben, wie eine Vision“, schreibt er an seine in Berlin gebliebene Frau. Später wird er seine Eindrücke in Tusche und Aquarell verarbeiten, aber jetzt stürzt er sich mit der Leica, die er vor der Reise gekauft hatte, in den Asphaltdschungel.

Grosz fotografiert: die Hinterköpfe der Passagiere eines Doppeldeckerbusses auf der Fifth Avenue; den Times Square; Baustellen; Zeitungskioske; U-Bahn-Eingänge; Hochhausschluchten; Autos im Stau; Menschen, die sich vor einem Brückenbogen sonnen; einen berittenen Polizisten zwischen Pferdefuhrwerken und parkenden Pkws. Der Künstler berauscht sich an der Stadt, macht 150 Aufnahmen innerhalb von 24 Stunden. Einige Fotos waren schon während der Überfahrt entstanden, am 5. Juni knipst Grosz bei einem Ausflug nach Woodstock. Danach nimmt er nie wieder eine Kamera in die Hand. Eine Auswahl von 60 Fotos sind nun zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Sie wirken verwaschen, mitunter fast hingetuscht. Weil die Negative verloren sind, mussten die Bilder von Kontaktabzügen vergrößert werden. Es sind Dokumente der Amerikabegeisterung eines Mannes, der doch vor allem für seinen bösen Blick berühmt-berüchtigt war. Im Januar 1933 fuhr Grosz wieder nach New York, diesmal als Emigrant. (chs)

Sammlung Daimler Chrysler, Haus Huth, Potsdamer Platz, bis 15. September, tgl. 11-19 Uhr, Führungen mittwochs um 18 Uhr.

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