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Kultur: Himmlers Höller als deutscher Jedermann

Auf den ersten Blick haben Mike Tyson und Claus Peymann wenig gemeinsam.Aber der Zufall wollte es, daß beide Herren dieser Tage beinahe zeitgleich ein Comeback hatten; beide durften nach längerer Zwangspause endlich wieder das tun, was sie am besten können.

Auf den ersten Blick haben Mike Tyson und Claus Peymann wenig gemeinsam.Aber der Zufall wollte es, daß beide Herren dieser Tage beinahe zeitgleich ein Comeback hatten; beide durften nach längerer Zwangspause endlich wieder das tun, was sie am besten können.Tyson, der nach einem Ohrenschmaus gesperrt gewesen war, darf wieder boxen.Und Peymann durfte, beinahe zehn Jahre nach des Dichters Tod, endlich wieder Thomas Bernhard inszenieren.

Peymann und Bernhard, das war in den 70er und 80er Jahren ein Traumpaar.Peymann hatte in dem Dramatiker aus Österreich einen unerbittlichen Partner (und gnadenlosen Kritiker) gefunden; Bernhard hatte in dem perfektionistischen Regisseur aus Norddeutschland den idealen Dirigenten für seine Bühnenpartituren entdeckt.Bei 12 von 18 abendfüllenden Bernhard-Stücken hatte Peymann die Uraufführung inszeniert; wenige Wochen nach der letzten, "Heldenplatz", starb der Dichter - und verfügte in seinem Testament ein Aufführungsverbot seiner Stücke aufs Österreichs Bühnen."Bis daß der Tod euch scheidet", das hatte bis vor kurzem auch für die "Arbeitsehe" Bernhard-Peymann gegolten - bis im Sommer vergangenen Jahres eine internationale Bernhard-Stiftung gegründet wurde, die das testamentarisch verfügte Aufführungsverbot außer Kraft setzte; eine von Autoren wie Elfriede Jelinek oder Peter Turrini scharf kritisierte Revision seines letzten Willens.

Auch Peymann gibt Bedenken zu, meint aber, er erfülle jetzt einen "langgehegten Wunsch" des Autors.In Zusammenhang mit der Affäre um die NS-Vergangenheit des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim hätte dieser das Stück für "hochbrisant" gehalten.Bernhard wollte unbedingt, daß "Vor dem Ruhestand" nach Wien kommt.

Die Inszenierung am Wiener Burgtheater ist auch aus einem anderen Grund ein theatergeschichtliches Unikum: Peymann, der schon bei der Uraufführung vor knapp 20 Jahren (Juni 1979) in Stuttgart Regie geführt hatte, inszeniert das grausig-idyllische Familiendrama um einen ehemaligen Nazi-Massenmörder beim zweiten Mal mit derselben Besetzung wie damals.Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann, auch er schon seinerzeit dabei, hat für die ersten beiden Akte einen riesigen, hohen, beinahe leeren Raum gebaut, der sich (wenn man Fotografien der ersten Inszenierung zum Vergleich nimmt) kaum von der Uraufführung unterscheidet.Durch die Decke ziehen sich Risse von baupolizeilich vermutlich relevanter Größe, durch zwei große Fenster sieht man eine Straßenlaterne und dahinter einen (gemalten) Park, Nebelschwaden ziehen vorüber.

Die Schwestern Clara und Vera Höller warten auf die Ankunft ihres Bruders Rudolf.Clara (Kirsten Dene) sitzt vorne an der Rampe in einem Rollstuhl und stopft seine Strümpfe.Vera (Eleonore Zetzsche) steht ganz hinten an einem Bügeltisch und bügelt seinen Talar.Aus dem Dialog der Schwestern (der doch hauptsächlich ein Monolog von Vera ist) werden die Familienverhältnisse deutlich: Rudolf Höller war KZ-Kommandant, tauchte nach dem Krieg zehn Jahre lang unter und startete anschließend eine Juristenkarriere; heute ist er Gerichtspräsident und steht (ein halbes Jahr) vor dem Ruhestand.Clara wurde bei einem amerikanischen Bombenangriff von einem herabstürzenden Balken getroffen und ist seither querschnittgelähmt; der Mann, den sie geliebt hat, beging ebenso Selbstmord wie ihre Mutter.Vera schließlich, die ältere Schwester, besorgt nicht nur den Haushalt, sondern teilt mit ihrem Bruder auch das Bett.Der 7.Oktober, an dem das Stück spielt, ist der größte Festtag im Hause Höller: Mit Metternich-Sekt und in seiner wohlbewahrten SS-Uniform feiert Rudolf alljährlich den Geburtstag von Heinrich Himmler.

Der (überlange) erste Akt lebt aus der Spannung zweier vollkommen gegensätzlicher Figuren: Von ihrem Rollstuhl aus ist die schweigende, stumm leidende und demonstrativ in ihre "linken" Zeitungen ("Libération", "taz", "Frankfurter Rundschau") vertiefte Dene so dominant, daß Zetzsche im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun hat, um dagegen anzuspielen.Sie flüchtet sich in sinnlose Tätigkeiten, unterstreicht ihre mit heller, brüchiger Stimme vorgetragene Suada mit ausladenden Gesten und nimmt, wenn sie sich allzusehr in Rage geredet hat, zur Abkühlung einen Schluck vom Bügelwasser.Wie eine übereifrige Mutter die renitente Tochter umschwirrt Vera ihre Schwester; vielleicht ist "Vor dem Ruhestand" ja tatsächlich mehr bitterböse Parodie auf die Kleinfamilie als ein politisches Zeitstück über Ewiggestrige.

Der Star der Familie (und des Abends) tritt erst im zweiten Akt in Erscheinung.Als Rudolf ist Traugott Buhre - nach Bernhard Minetti der zweite große Bernhard-Spieler - erst jetzt, 20 Jahre nach der Uraufführung, im richtigen Alter für einen Demnächst-Pensionär.Buhre spielt weder einen bellenden Altnazi noch einen lächerlichen Grenzdebilen, er verweigert die naheliegenden Rollenbilder zugunsten einer nuancierten (umso wirkungsvolleren) Figurenzeichnung.Er ist etwas blöde und doch souverän, beinahe liebenswürdig und doch brutal, er ist selbstverliebt und naiv wie ein kleines Kind und dann wieder autoritär und tyrannisch wie ein Patriarch.Also ein normaler Mensch, etwa so normal wie man sich Politiker vorstellt, wenn sie zuhause die Pantoffel anziehen.Das macht die Figur nicht sympathischer, aber erstens entschieden komischer und zweitens umso monströser.

Im dritten Akt, zu Beethovens Fünfter und einer Überdosis Metternich-Sekt, geht Rudolf mit Vera, wie jedes Jahr an Himmlers Geburtstag, das Familienalbum durch.Statt nur harmloser Kinder- und Urlaubsfotos enthält es, wie selbstverständlich, Höllers behaglich kommentierte Schnapschüsse von Judenmorden.Am Ende erleidet der angehende Pensionär einen Herzanfall, und die Schwester Vera ruft - letzte Pointe - den jüdischen Arzt Dr.Fromm um Hilfe.

Bernhard hat die "Komödie von deutscher Seele" (Untertitel) aus gegebenem Anlaß - seine Vergangenheit als NS-Richter hatte gerade den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger gestürzt - 1979 geschrieben.In Wien wäre das Stück vor zehn Jahren, zur Waldheim-Affäre, vermutlich eine Bombe gewesen.Jetzt war von politischer Brisanz kaum noch etwas zu spüren.Die Aufführung, die im Herbst auch an das Berliner Ensemble übernommen werden soll, wirkt altmeisterlich.Doch Peymann beweist mit ihr, wie nuanciert er brilliante Schauspieler zu führen vermag.

WOLFGANG KRALICEK

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