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Duo infernale. Bushido (rechts) und Arafat Abou Chaker 2010 bei der Premiere des Films „Zeiten ändern dich“.

© picture alliance / Eventpress Schulz

Hip-Hop-Szene: Neukölln, New Jersey

Rapper, Gangster, dicke Kohle: Amerikanische Sitten kommen im Berliner Milieu an.

Von Andreas Busche

Geschäfte mit dem Teufel zahlen sich selten aus. Das wissen wir nicht nur von Goethe, man lernt es auch früh in den Straßen von Berlin-Neukölln. „Die Seele war verkauft, der Junge stieg auf seinen Thron / Für viele ein Idol, doch seine Freiheit Illusion / Mephisto hatte Pläne, der König der Hyänen / Die Kurve ging nach oben, die Wörter wurden Platin / Gewissensbisse gab's nicht, wer Faxen machte, schlag ihn / Die Geister, die er rief, sie forderten Tribut“, rappte Bushido, bürgerlich Anis Ferchichi, vergangenes Jahr in seinem Hip-Hop-Epos „Mephisto“, eine Abrechnung mit seinem ehemaligen Freund und Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker.

Der Name Abou-Chaker ist polizeilich schon lange bekannt, der 42-jährige Arafat gilt als Oberhaupt einer der mächtigsten Familien im arabischen Milieu, in dem zuletzt verstärkt im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität ermittelt wurde. Seine Verdienste um den deutschsprachigen Hip-Hop sind hingegen eher zweifelhaft. Aber Straßenhärte und Gangsta-Bling machen sich seit jeher gut fürs Rapper-Image, gerade in Deutschland, wo der Hip-Hop seine Ursprünge in den bürgerlichen Vierteln von Hamburg und Stuttgart hat – und nicht wie in Amerika in überwiegend schwarzen Stadtteilen wie der New Yorker Bronx oder Compton in Los Angeles.

Wie schlecht muss es um die Geschäfte und die Moral der Musikindustrie stehen, dass ein Unternehmen wie UNIVERSAL Music mit solchen Vögeln Verträge schließt und sich so mit ihnen gemein macht. Unter künstlerischer und sozialer Verantwortung stelle ich mir was anderes vor.

schreibt NutzerIn Al.Dente

Da erschien die Partnerschaft mit dem Abou-Chaker-Clan in den nuller Jahren wie ein genialer Marketing-Schachzug, um Territorialansprüche gegenüber den Lagern von Aggro Berlin (Bushidos erstem Label) und Royal Bunker zu behaupten. Maskenmann Sido lief 2004 mit seiner Posse durchs Märkische Viertel und feierte seinen „Block“. Berliner Ghetto-Sozialromantik. „Wir bekamen Lachkrämpfe, als wir diese Hampelmänner sahen“, schreibt Arafat Abou-Chaker, dessen Familie in den achtziger Jahren aus einem libanesischen Flüchtlingscamp nach Berlin kam, im Nachwort von „Der Schöne und die Beats“ (2016), den Hip-Hop-Memoiren seines anderen Schützlings Shindy. „Was hat denn Deutschland bitte für Ghettos?“

Macht und Musik

Die Allianz von Macht und Musik ist alles andere als neu. Im 13. Jahrhundert hielt sich Friedrich II. den Dichter Walther von der Vogelweide am kaiserlichen Hof, in Kalabrien besingen Volkssänger die Heldentaten der einheimischen Mafia, die „Narcocorridos“, die die Anführer der mexikanischen Kartelle rühmen, sind regelrechte Popstars. Bushido hat mit seinem Label „Ersguterjunge“ lange von der Street-Credibility der Abou-Chakers profitiert, dem Gangsterboss verschaffte der Rapper im Gegenzug Zugang zu besseren gesellschaftlichen Kreisen – über die Abou-Chaker meist aber nur verächtlich redete. Bernd Eichinger zum Beispiel („Sowas Arrogantes hab ich selten gesehen“), der vor seinem Tod noch das Bushido-Biopic „Zeiten ändern dich“ produzierte, seien die Leute „in den Arsch gekrochen“.

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Der deutsch-israelische Politologe Arye Sharuz Shalicar sagte schon 2013 in einem Interview mit der „Welt“, dass Bushido nicht mehr „Herr seines Lebens“ sei. Damals war gerade durchgesickert, dass Bushido 2010 seinem Freund Arafat, mit dem er, seine Frau und ihre Kinder zwischenzeitig in einer sektenartigen Wohngemeinschaft auf einem Anwesen in Kleinmachnow lebten, eine Generalvollmacht für alle geschäftlichen Aktivitäten und Konten erteilt hatte. Ein Geschäft mit dem Teufel.

Der Tribut, den dieser Deal fordert, ist nun aber wieder ein Fall für die Polizei. Im vergangenen März hatte sich Bushido endgültig von seinem Partner losgesagt, dem „Stern“ erzählten er und seine Frau Anna-Maria, dass sie nun um ihre Leben fürchten. Verträge mit den Abou-Chakers werden mit Blut besiegelt – auf Lebenszeit.

Ehre unter Gangstarappern

Dass Arafat Abou-Chaker seit einer Woche zusammen mit seinem jüngeren Bruder Yasser in Untersuchungshaft sitzt, ist der bizarre Höhepunkt dieser Gangsterposse. Der Verdacht: Die Abou-Chaker-Brüder sollen die Entführung von Bushidos Kindern geplant haben, aus Rache. Der steht mittlerweile unter Polizeischutz. Ein heimlich gefilmtes Video von dieser Entourage veröffentlichte sein Rivale Fler am Donnerstag wie zum Hohn auf Instagram. Einen Tag zuvor hatte sich dort schon Capital Bra von „Ersguterjunger“ getrennt: „Ich bin nicht mehr bei EGJ, da mein Labelboss intensiv mit der Polizei arbeitet.“ Ehre unter Gangstarappern. Oder Karrierekalkül. Bereits im Dezember hatte Capital Bra einen Vertrag beim Majorlabel Universal unterschrieben. Aber die Botschaft an die Fans klingt natürlich viel besser: Respekt ist immer noch eine harte Währung unter Rappern.

„Wir waren sechs Brüder, die sich nichts gefallen lassen haben“, erinnert sich Arafat Abou-Chaker am Ende der Shindy-Biografie an seine eigene Jugend in der Neuköllner Hood. „Wir mussten schließlich unseren Namen verteidigen. Unsere Familienehre. Unter allen Umständen.“ Die Clans bieten wie die Gangs in den Hip-Hop-Straßenkriegen der achtziger Jahre zwischen den „Crips“ und „Bloods“ ein Gefühl der Zugehörigkeit, ein Stück Identifikation.

Der Hip-Hop von Ice-T und NWA war damals der Soundtrack zu den blutigen Gangfehden, heute wummern in den Serien „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin“ die tiefergelegten Boombeats unter den Dicke-Hose-Raps der Einwandererkinder Bushido, Haftbefehl und Massiv. Letzterer hatte in „4 Blocks“ sogar eine Hauptrolle. Kein Wunder, dass sich die Straßenrapper wie Könige fühlen. Sie dürfen für ihre gebrochenen Aufsteigerbiografien posieren, die Medien greifen die Erzählungen dankbar auf, von Netflix bis zum ARD-Politmagazin "Kontraste".

Ein Geschäft mit Abhängigkeiten

Gleichzeitig ist im deutschen Gangsta-Hip-Hop aber auch eine schleichende Verspießung zu beobachten. Die Clans ziehen sich in den beschaulichen Speckgürtel zurück wie schon die HBO-Mafiafamilie der Sopranos, die vom hässlichen New Jersey aus ihre Geschäfte führte: mit Stripclubs, aber auch der örtlichen Müllabfuhr. Weniger Glamour und Street-Credibility sind kaum denkbar. Die Abou Chakers residieren in Kleinmachnow, vom anderen großen Berliner Clan, der kurdischen Remmo-Familie, beschlagte die Polizei kürzlich 77 Immobilien: unter anderem in Britz und im Berliner Umland.

Die Verflechtungen von Hip-Hop und Organisierter Kriminalität drehen sich aber nicht nur um Statusfragen. Die Musik ist ein ernstzunehmender Geschäftszweig, der Abhängigkeiten schafft. Die Clans mischen kräftig mit in der Szene: Die „Rücken“, wie die Aufpasser im Jargon heißen, kümmern sich um alles Geschäftliche außer der Musik. Auch darum taugt der Berliner Hip-Hop-Krieg mit seinen beefs und battles nur bedingt zum Populärmythos. 2008 wurde der Rappper Massiv auf der Straße angeschossen. Die Clan-Strukturen erinnern tatsächlich an die Mafia: Aussteigen ist nicht, es herrscht eine Omertà des Bluts und der Ehre. Bushido bekommt dies gerade am eigenen Leib zu spüren. Schutz vor dem Zorn der Abou Chakers soll er sich ausgerechnet beim Remmo-Clan geholt haben. Es ist ein Teufelskreis.

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