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Kultur: "Hochland": 1000 gelbe Nelken

Ein breites Echo hat der Choreograf Joachim Schlömer gefunden, als er Anfang Januar mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat: An der Freien Volksbühne, die gerade zur neuen Spielstätte der Berliner Festspiele gekürt wurden, möchte er eine moderne Tanzcompagnie aufbauen. Er sei "positiv überrascht" gewesen, mit wie viel Interesse sein Vorstoß aufgenommen wurde, sagt Schlömer, der mit seiner Compagnie anlässlich des Tanz-Winters derzeit in Berlin weilt.

Von Sandra Luzina

Ein breites Echo hat der Choreograf Joachim Schlömer gefunden, als er Anfang Januar mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat: An der Freien Volksbühne, die gerade zur neuen Spielstätte der Berliner Festspiele gekürt wurden, möchte er eine moderne Tanzcompagnie aufbauen. Er sei "positiv überrascht" gewesen, mit wie viel Interesse sein Vorstoß aufgenommen wurde, sagt Schlömer, der mit seiner Compagnie anlässlich des Tanz-Winters derzeit in Berlin weilt. Festspiel-Chef Joachim Sartorius hat seine prinzipielle Zustimmung signalisiert - und zugleich auf die Grenzen seiner Zuständigkeit hingewiesen. Auf Stippvisite in Berlin, verliert Schlömer keine Zeit, um sein Vorhaben voranzutreiben. Mit Sartorius und Nele Hertling hat er am Donnerstag überlegt, welche Schritte nötig sind, um den stockenden Reformprozess wieder in Gang zu bringen. Am Montag wird Joachim Schlömer Kultursenator Stölzl über sein Projekt informieren. Mit einer 24-köpfigen Compagnie will er an der Freien Volksbühne einen Spielbetrieb von vier oder fünf Monaten bestreiten. Neun Premieren sind pro "Tanz-Saison" vorgesehen: zwei Uraufführungen und zwei Wiederaufnahmen von Schlömer selbst, zusätzlich sollen Choreografen von außen eingebunden werden.

Nun ist es sicherlich ein ambitioniertes Vorhaben, gleich eine ganze Tanz-Saison auf die Beine zu stellen. Dringlicher sind aber Fragen der Finanzierung. Die Compagnie müsse Teil des Berlin-Balletts sein und aus dessen Etat finanziert werden, fordert Schlömer. Eine Stadt wie Berlin könne neben Sasha Waltz an der Schaubühne durchaus noch eine zweite moderne Tanzcompagnie vertragen, meint der 38-Jährige, der zum Sommer das Theater Basel verlässt. Es drängt ihn nicht nur mit aller Macht nach Berlin - er drängelt auch. "Ich habe mein Angebot formuliert. In den nächsten drei Monaten muss das Ja kommen."

Im Hebbel-Theater kann man jetzt das Tanztheater Basel mit einer älteren Schlömer-Arbeit besichtigen, die zu einer Art Visitenkarte wird: "Hochland oder Der Nachhall der Steine". Die Produktion kam 1997 am Nationaltheater Weimar heraus. Schlömer und sein Ausstatter waren zu Recherche-Zwecken nach Schottland gereist. Doch keine gerahmten Reise-Impressionen sind auf der Bühne zu bewundern. Ein leerer Bühnenraum, in dem sich die Erinnerungsspuren kreuzen, ein Echoraum, in dem sich Klänge und Bilder überlagern. Das Geräusch klackender Steine. Eine sehnsüchtige Dudelsackmelodie, die bald von Verkehrslärm verdrängt wird. Eine Tänzerin streut einen Pfad aus Laub. Mit nackten Füßen balanciert sie auf zwei Steinen, halb rückwärts gezogen von einem kaum sichtbaren Beweger.

Dieser Rückwärtsgang zieht sich als Motiv durch den Abend. Die Tänzer werden hereingeweht, formieren sich zu Paaren und Passanten, ehe sie wieder auseinander stieben. Bewegungen wie Seufzer der Vergeblichkeit. Was Schlömer aus dem Gesten-Archiv hervorholt, wirkt nicht nur reichlich artifiziell, sondern oft auch gespreizt. Ein zusammengewürfeltes Personal, in altmodischen Fummeln aus dem Fundus, verwandelt sich zu merkwürdigen Zwischenwesen. Die Komponisten Michael von Hintzenstern und Hans Tutschku haben für ihre "sound-scapes" Naturgeräusche, Großstadtlärm und schottische Folklore gemixt, auch Musik anderer Provenienz und reichlich barocke Klänge fließen ein.

Dieses Bewegungstheater drängt zum Bildhaften, belässt es aber bei sparsam-zeichenhaften Andeutungen. Doch der Wille zur Poesie treibt hier seltsame Kunst-Blüten. Nicht nur die Natur, auch die menschlichen Regungen erscheinen wie abgestorben. Und da lässt der Choreograf dann tausend Blumen blühen. Gelbe Nelken wachsen aus Händen und Füßen, blühen aus einem Frauenmund. Immer wieder müssen die Tänzer Blüten und Gebinde über die Bühne tragen. Den kargen Gemütern, den versteinerten Emotionen trotzt Schlömer für einen kurzen Augenblick blühendes Leben ab. Zu einem akustischen Steinhagel stürzt das Ensemble zu Boden. Ein Massiv aus Leibern, aus dem zitternd gelbe Blümchen emporwachsen. Das "Stirb und Werde"-Motiv mündet in einem gnadenlosen Kitschbild. Die Girlanden, die Schlömer an diesem Abend flicht, hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck.

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