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Kultur: Hochtourig jault die Knochensäge

Schaubühne: Mayenburgs „Der Hässliche“

Wir befinden uns wohl in der 20. Minute. Lette, vor kurzem noch hässlich wie die Nacht, dank der chirurgischen Kunst eines Doktor Scheffler aber inzwischen Träger eines strahlend schönes Gesichts, erklärt seiner Frau Fanny, dass sie ihn jetzt zwangsläufig mit anderen Frauen teilen muss, denn: Treue ist eine „Frage von Angebot und Nachfrage“. Bibiana Beglau, die diese Fanny mit hemmungsloser Lust an der Grimasse gibt, stakst also auf ihren schwarzen Hysterikerinnen-Schühchen auf und ab und wiederholt erregt, dass sie ihren Mann jetzt mit Frau Nummer zwei!, drei! oder vier! zu teilen habe. Als sie mal Luft holt, sagt Lette: Ich habe verstanden! Aber Fanny will sich nicht beruhigen und zählt weiter ihre zukünftigen Nebenbuhlerinnen auf. Von fünf bis 25, während Lette mit den Augen rollt und immer wieder ein Ist-ja-gut einwirft.

Wie Lette mit Fanny, so ergeht es dem Zuschauer mit dem neuen Stück „Der Hässliche“ von Marius von Mayenburg, das in der Bearbeitung des australischen Regisseurs Benedict Andrews an der Schaubühne zu sehen ist. Nach wenigen Szenen hat er die bescheidene, zugrunde liegende These verstanden (heutzutage kommt es mehr auf die Präsentation als auf die Produktion an), aber das Stück will sich gar nicht mehr einkriegen und hört erst auf, nachdem es das Immergleiche auf 25 Arten gesagt hat: Wir leben in einer narzisstischen Welt. 75 Minuten können sehr lang sein.

Nach dem 24-Personen-Epos „Turista“ aus dem letzten Jahr, das auf einem Campingplatz vom unnatürlichen Tod eines kleinen Jungen erzählt, hat Marius von Mayenburg, Hausautor der Schaubühne, eine kleine Farce zum Thema Schönheitswahn geschrieben. Sie beginnt mit an Loriot erinnerndem Witz, schwingt sich zu Monty-Python-haftem Slapstick auf und endet als Laubsägearbeit auf dem Kalauerniveau niederer Fernsehunterhaltung.

Lette also, ein begabter Techniker, darf wegen seiner hässlichen Visage den neu entwickelten Stecker nicht präsentieren und entschließt sich zu einer Gesichtsoperation, die ihn zum schönsten Menschen der Welt macht. Die Wirkung ist sofort da. Er darf nicht nur seine Erfindung vorführen (auf deren 40-Zentimeter-Umfang herumgeritten wird); auch seine Frau, die ihm sonst immer nur „ins eine Auge reingeschaut“ hat, stürzt sich gierig auf ihn. Das erkaufte Glück ist logischerweise von kurzer Dauer, denn da es gemacht ist, wollen plötzlich nicht nur alle so aussehen wie Lette, sondern können es dank des Operateurs Scheffler auch. Bald laufen nur noch Lette-Klone herum, was zu angestrengten Verwechslungsgags und einer bedeutungshuberischen Aufhebung von Ich und Du führt.

Das Umschminken von hässlich auf schön haben sich Autor und Regisseur glücklicherweise gespart. Lars Eidinger darf als Lette sein Gesicht behalten. Die Geräusche der Operation leider nicht. Knorpel knacken, Fleisch schmatzt, hochtourig jault die Knochensäge, alles über Mikro verstärkt. Überhaupt zeichnet sich Regisseur Benedict Andrews hauptsächlich als Dirigent der Bühnentechnik aus. Ständig werden die Schauspieler an Seilzügen aus unmotivierten Gründen in den Bühnenhimmel gehoben und wieder heruntergelassen; müssen Äpfel explodieren. Dass der Schaubühnen-Ausflug auf den Boulevard daneben geht, liegt aber auch an den Schauspielern. Ohne die Milde der Erfahrung oder die schmierige Nonchalance moralischer Verwerflichkeit ist das Augenzwinkern, das jeden Satz begleitet, nicht zu ertragen. Bibiana Beglau, Lars Eidinger, Rafael Stachowiak und André Szymanski wirken vor allem aseptisch.

Wieder am 16., 17., 28. und 29.1.

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