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Kultur: Höpö, höpö!

Ein Gespenst geht um in Europa: das finnische Wunder. Besonders wir Deutsche blickten, Pisa sei es geklagt, in den letzten Monaten voll Bewunderung in den blauen Norden.

Ein Gespenst geht um in Europa: das finnische Wunder. Besonders wir Deutsche blickten, Pisa sei es geklagt, in den letzten Monaten voll Bewunderung in den blauen Norden. Denn im Gegensatz zu Mustermanns Kevin kann Meikäläinens kleiner Matti nicht nur flüssig lesen, sondern sogar kopfrechnen. Führte Erziehungsberater Axel Hacke dies im "Tagesspiegel" auf die atemberaubende Komplexität der finnischen Sprache zurück, so schwärmte die "Süddeutsche" von finnischen Gesamtschulen, deren "lichte Flure, helle Hölzer und gläserne Wände deutsche Lehrer in Tränen ausbrechen lassen". Und FDP-Vordenker Rainer Brüderle brachte die finnische Wirtschaftsübermacht in der "Welt" auf den Punkt: "Finnland hat Nokia, und wir haben die Diskussion um die Mobilfunkmasten."

Das sitzt. Und schmerzt. Schon droht ein Exodus deutscher Jungakademiker. Endlich scheint es gefunden, Satumaa, das Wunderland. Hightech-Wellness für das 21.Jahrhundert, Finnland als erlösend dritter Weg zwischen Waldorf und Sozialismus! Kann das wahr sein? Der 33-jährige Lauri Kivonen, eines jener Statistikgenies, die sonst nur noch in Amerika oder Indien zu finden sind, vermag derartige Begeisterung kaum nachzuvollziehen. In seiner 45 qm-Wohnung (1250 Euro, kalt) in einem Vorort Helsinkis gibt er mir, zusammen mit Freundin Ritva und dem zweijährigen Sohn Viljämi Auskunft darüber, wie es so ist, ein Wunder-Finne zu sein. Mit einer größeren Wohnung habe es für die junge Familie nicht geklappt, im Zentrum sei es für sie, nach all den Steuerabzügen, ohnehin unbezahlbar. Auch im 30 Kilometer entfernten Espoo, wo Lauri arbeitet und Nokia seinen Sitz hat, gäbe es derzeit kaum eine Chance. Außerdem, fällt Business-Consultant Ritva gleich ein, sei Espoo keine Stadt, sondern lediglich eine Ansammlung von 70er-Jahre-Mietskasernen samt Einkaufszentrum. Ach ja, ein Bade-Paradies gibt es noch. Da bleibe man doch besser hier in der "Stadi".

"Stadi", die Stadt, das trifft es. Eine andere gibt es nämlich nicht. Wie fast alles Urbane in Finnland ist auch dieses Wort schwedischen Ursprungs. Finnland ist ein zweisprachiges Land: Noch immer übt die ehemalige Kolonialmacht Schweden in Form der "finnlandsvenska" gewaltigen Einfluss auf das Land aus. Der Minderheit von 4 Prozent des 5 Millionen Volkes, davon ist der echte Finne überzeugt, ist es bis heute gelungen, die Privilegien der Gutsherren über die Jahrhunderte zu retten. Als Student der minderheitsgeschützten Abo Akademi bekommt man das zu spüren. Abends, wenn es bei der Kneipentour durchs heimische Turku mal wieder Ärger gibt. Schwedisch, öffentlich - das muss nun wirklich nicht sein. Die Probleme von Mopodele und Sarah, den Nigerianerinnen aus meinem Sprachkurs, wiegen schwerer. Als schwarze Frauen werden sie auf Turkus Straßen für Prostituierte gehalten. Ausgehen ist ihnen unmöglich. Auch wenn es so nicht ins sympathische Kaurismäki-Image passen will: Ausländerfeindlichkeit ist hier ein Problem. Man fürchtet, insbesondere die reichen Deutschen hätten nichts anderes im Sinn, als die halbe Seenplatte samt Sommerhäuschen aufzukaufen, um dort Land und Fische zu terrorisieren.

Wer allerdings erst einmal in einer Provinzkapitale wie Varkaus Station macht, wo eine monströse Papierfabrik sich kilometerweit durch die Siedlung schlängelt, dem dürften nicht nur die alkoholkranken Mitvierziger auf den Straßen einen Eindruck von der Trostlosigkeit dortigen Daseins gewährt haben. Zwar stimmt es, dass das Bibliothekssystem landesweit eine Spitzenversorgung sichert und dass man selbst in Varkaus Cola-Dosen per Handy aus dem Automaten ziehen kann. Die Naturschönheit in der zweiwöchigen Wärmephase, Sommer genannt, zu genießen, fällt indes schwerer. Die Milliarden hungriger Insektenrüssel finden ihr Stück Fleisch, es sei noch so mickrig. Saatana, wie das juckt! Der Rest ist Winter.

Da sind sie wieder, die Zweifel am finnischen Wunder. Soll ich wirklich Finne werden, damit meine Kinder nicht chancenlos bleiben auf dem Zukunftsmarkt? Wird es andere Berufe geben, jetzt, da die Finnen die globale Entwicklung per Handy fernsteuern? Höpö! Höpö! (Jetzt mal langsam!), beruhigt mich Ritva bei einem Glas Rotwein aus Bulgarien (30 Euro). Das sagen sie immer, die Finnen, wenn ihnen etwas übertrieben scheint. Sie sagen es oft in diesen Tagen. Höpö! Höpö! äfft mein Patenkind Viljämi jetzt fröhlich auf meinem Schoß. Lesen kann es übrigens noch nicht, das gute Kind.

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