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Kultur: Hühner im Fernsehballett

Melancholischer Meister: Der Berliner Maler Peter Herrmann zeigt im Kölner Museum Ludwig seine neuen Stadtlandschaften

Unscheinbar und fast unbemerkt beteiligt sich nun auch das Museum Ludwig in Köln an den aktuellen Debatten über das Revival der Malerei und deren Zukunftstauglichkeit. Die experimentell gedachte „AC:/DC:“-Projektreihe bietet in der aktuellen Doppelausstellung mit Bruce Naumans raumgreifender Videoinstallation „Mapping the Studio“ (siehe Tagesspiegel vom 2. März) und Peter Herrmanns ölgemalten Stadtlandschafts- und Figurenbildern ein Kontrastprogramm, in dem sich alte und neue Medien wie programmatisch gegenüberstehen.

Der 1937 bei Zittau in der Oberlausitz geborene Herrmann spielt in diesem Showdown der an sich unvergleichbaren Positionen den Part des unkorrumpierten Künstlers, der seit über vierzig Jahren abseits kurzlebiger Mainstreams der Leinwand mit Öl und Pinsel und einer am Figürlichen festhaltenden Malerei zu Leibe rückt. Er gehörte gemeinsam mit Strawalde, Peter Graf und A.R. Penck im Dresden der sechziger und siebziger Jahre zu den „inoffiziellen“ DDR-Künstlern, die eher am Rande agierten und sich nicht mit dem System arrangierten. Das System allerdings arrangierte sich mit Peter Herrmann. Doch an Privilegien war ihm nicht gelegen. Er übersiedelte 1984 nach West-Berlin, und auch hier begab er sich – ungeachtet des zwischenzeitlich verkündeten Endes der Museumskunst und der wie aus dem Nichts hochkochenden Bildereuphorie der Neuen Wilden – nicht ins Fahrwasser des aktuellen Kunstgeschehens.

Die Kölner Ausstellung präsentiert nun im früheren „Heldensaal“ in dichter Hängung eine bis aufs Jahr 1988 zurückgehende Auswahl seiner von Stimmungen, Wehmut und Melancholie, auch von leisem Humor und verhaltener politischer Süffisance getragenen Figurenszenen und Stadtansichten, in deren Mittelpunkt ein eigens für die Schau geschaffener dreizehnteiliger Bilderzyklus steht. Zu sehen sind biographisch gefärbte Bilder: Blicke von einem Balkon nach durchzechter Nacht, Kindheitserinnerungen an das brennende Dresden, Eindrücke von Reisen nach Italien und Algerien, Bilder vom Tod des Vaters, skurrile Freundschaftsbildnisse, leere, metaphysisch verklärte Stadt- und Tagtraumlandschaften vor allem von Dresden und Berlin, Veduten der Domkuppel von Florenz und der Peterskirche in Rom, die exquisite Hommage „per pittore Böcklin“ oder das kurz vor der Wende entstandene Sinnbild einer akrobatisch über dem geteilten Berlin schaukelnden Frau.

Die delikate Farbigkeit, der expressive Pinselstrich, verzerrte Perspektiven, manche Gestalt, manche Kontur, mancher Farbauftrag lassen Wurzeln im Expressionismus, in der Pittura Metafisica oder der Neusachlichkeit, im magischen Realismus eines Rousseau oder in der Art Brut erkennen oder erinnern zitathaft an Kirchner, Beckmann und Picasso. Exaltierter Innovationsdrang und marktgängiger Originalitätszwang sind in Peter Herrmanns Kunst kaum auszumachen. Reflektiert in einer Parallel-Ausstellung des Museum Ludwig der Düsseldorfer „Anti-Fotokünstler“ Hans-Peter Feldmann (siehe Tagesspiegel vom 6. März) die Bildkultur unserer Gesellschaft, indem er dem visuellen Overkill mit großen Serien unkünstlerischer Fotografien begegnet, so knüpft Herrmann mit ungebrochenem Glauben an die Kunst und die Macht des Bildes an die Malerei der klassischen Moderne an.

Dabei sind seine neueren Arbeiten großflächiger, heller, in der Komposition und den malerischen Mitteln reduzierter und wirken intellektuell und ästhetisch abgeklärter als die älteren. Sie handeln von Wartenden, U-Bahnfahrern, Abschiednehmenden, von Trinkenden, Reisenden, Prostituierten, von Alter, Einsamkeit, Trübsal, von ersehnter und verschmähter Liebe. Auch diese Bilder, die in ihrer Stimmung an die Theaterwelten Ionescos und Becketts erinnern, werden umspielt von „belle tristesse“, Melancholie und einem ins Absurde und ins politisch-satirische weisenden Existenzialismus. Die räumliche Anlage der zu einem friesartigen Zyklus „Über das Leben“ zusammengefassten meist 1,25 mal 3,15 Meter großen Bilder, die bizarre Farbigkeit und die kantig-klobigen Figuren machen die drückende Leere und die Entfremdung um so anschaulicher.

Auch politische Töne mischen sich in diesen neuen Zyklus. So zeigt Herrmann im Bild grandios rhythmisierter Reihen stahlbehelmter Köpfe „die Sieger der Geschichte auf dem Abmarsch“. Wenn hingegen im verschrobenen Bild eines grobschlächtigen Arbeiters und eines graziösen Hundes sich „zwei Manieristen“ begegnen oder wenn Herrmann – sehr vergnüglich – drei langbeinige und großbusige Hühner im „Fernsehballett“ auftreten lässt, beweist sich immer wieder der unverwechselbar kauzige Humor des Malers.

Bis 11. Mai 2003. Katalog 14,80 Euro.

Martin Seidel

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