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Kultur: Hut ab

Morgen singt die Country-Band Texas Lightning in Athen für Deutschland. Eine Begegnung

Am besten, man beginnt diese Geschichte mit einem Witz. Was passiert, wenn du einen Country-Song rückwärts spielst? Du kriegst dein Haus zurück, du kriegst dein Geld zurück, und deine Frau kehrt zu dir zurück.

Country ist der Blues des weißen Mannes, eine Musik, die eher von Niederlagen als von Siegen handelt. „Country ist wie das wahre Leben“, sagt Jon Flemming Olsen. „Da gibt es neben allem Schönen auch Trauer. All das steckt in dieser Musik, deshalb spielt man Country, wenn man ein bisschen älter geworden ist.“ Olli Dittrich, befragt, warum er Country liebt, philosophiert über Musik als universelle Sprache und emotionales Kraftfeld: „In dem Moment, in dem man sie zum Klingen bringt, rührt sie auch in einem selbst etwas an.“ Man muss nicht unbedingt Englisch verstehen, um zu spüren, worum es in Country-Songs geht: „Die Leute, die diese Songs erfunden haben, erzählen etwas über sich, über ihr Leben, darüber, woher sie kommen und was ihnen passiert ist. Das ist alles in diesen Songs enthalten, und man erweckt es, wenn man sie spielt.“

Texas Lightning, so nennen sie in den amerikanischen Südstaaten einen Versicherungsbetrug, den plötzlichen Blitzschlag, der angeblich eine Scheune oder Farm in Brand setzt. Vor zehn Jahren hat Jon Flemming Olsen in Hamburg seine Country-Band gegründet, am Anfang hieß sie noch Texas Lightning & The Rodeo Rockets. Die Band trat, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, in kleinen Clubs und bei Festivals auf, auch mal auf einem Kreuzfahrtschiff. „Wir haben immer so viel gespielt, wie es irgendwie ging“, erzählt Olsen. „Aber unsere früheren Besetzungen haben darunter gelitten, dass die Mitglieder Tagesjobs hatten, die viel Einsatz erforderten.“ Eine Mucker-Truppe, die lustlos durch Schützenfeste und Hochzeiten tingelt, sind Texas Lightning nie gewesen. Sie wollten von Anfang an bloß die Musik spielen, die sie mögen: Country. „Eine Spaßband“, sagt Olsen. Und Dittrich fügt hinzu: „Das sind wir heute noch.“

Bekannt geworden sind Texas Lightning erst im letzten Sommer, als sie plötzlich in neuer Formation in einer Fernsehshow auftauchten: mit der Australierin Jane Comerford als Sängerin und dem Schauspieler Olli Dittrich am Schlagzeug. Olsen und Dittrich kennen sich lange, früher spielten sie in einer Beatles-Coverband, die „Die Bietels“ hieß. Vor allem aber treten sie seit drei Jahren zusammen in einem grandios improvisierten Fernseh-Wochenrückblick auf: Dittrich gibt in „Dittsche“ den gleichnamigen Schwadroneur im blau-weiß-gestreiften Bademantel, Olsen den ewig genervten Imbisswirt Ingo. Mit Olli Dittrich gelang Texas Lightning – komplettiert wird das Quintett durch Gitarrist Markus Schmidt und Bassist Uwe Frenzel – der Durchbruch. Das Album „Meanwhile, Back At The Ranch“ stand in den Top Ten der deutschen Charts, eine Tournee führte durch ausverkaufte Hallen.

Und jetzt der Gipfel: Athen. Am Samstag werden Texas Lightning mit „No No Never“, ihrem ersten selbstkomponierten Lied, beim Eurovision Song Contest für Deutschland antreten. Die 150 bis 200 Millionen Zuschauer, die das Ereignis weltweit verfolgen werden, dürften sich heftig wundern: über diese seltsamen Deutschen mit ihren Cowboyhüten, die in prachtvoll bestickten Showanzügen mit Stehbass, Banjo und übermütig galoppierender Snaredrum eine Hymne vortragen werden, die exakt so klingt, als würde sie aus Tennessee oder New Mexico stammen. Und Jane Comerford, die blonde Sängerin im tief dekolletierten, rosafarbenen Fünfziger-Jahre-Kleid, wird schmettern: „My love is wider than the ocean can be / And it’s deeper than the deep blue sea / My love goes higher than a mountain can rise .“

Man könnte „No No Never“ für ein einfach gestricktes, fröhlich dahinperlendes Liedchen halten, das die Liebe als ein Gefühl beschwört, das „größer als der Ozean und höher als der höchste Berg“ ist. In dem Genre ist derlei Überschwang nicht unüblich, die großen Country-Diven wie Dolly Parton oder Tammy Wynette forderten einst vehement „Please, Don’t Stop Loving Me“ und „Stand By Your Man“. Aber mehr noch als von der Liebe handelt „No No Never“ von einer Tugend: Ausdauer. „Keep tryin’ babe, keep holding on / There’s a place we belong / Where things are good, where love is strong“, singt die Sängerin weiter.

„Es geht nicht um die Mann-FrauEbene“, sagt Jane Comerford. „Ich habe beim Schreiben an ein kleines Mädchen gedacht, dessen Vater plötzlich gestorben ist. Ich habe an diesen Schicksalsschlag gedacht und daran, dass ich sie nie alleine weinen lassen werde. Ich kann ihr nicht die Tränen nehmen, aber ich kann mit ihr weinen.“ Nach Konzerten, erzählt sie, kämen in letzter Zeit oft Zuhörer auf sie zu und bedankten sich: weil „No No Never“ ihnen Trost gespendet habe.

Texas Lightning haben die deutsche Country-Musik aus dem Peinlichkeitsghetto befreit. Lange taugte das Genre hierzulande allenfalls als Begleitmusik für Truckertreffen, deutsche Country-Größen wie Tom Astor oder Truck Stop feierten in ihren Stücken eine unbegrenzte Highway-Freiheit, die sie doch nur aus amerikanischen Filmen kannten. Texas Lightning nähern sich ihren transatlantischen Vorbildern mit größerer Lässigkeit. Sie haben Country in Deutschland mainstreamfähig gemacht, weil sie erkannten, dass in jedem guten Pop-Hit auch ein Country-Song steckt.

Zum Repertoire der Band gehören nicht nur Gassenhauer wie „Jackson“ oder „I Got Texas In My Soul“, sondern auch dezent countryfizierte Versionen von „Dancing Queen“ und „Highway To Hell“. Olsen und seine Mitstreiter ironisieren die Hits keineswegs, im Gegenteil: Sie reduzieren sie auf den akustischen Kern und rollen ihnen gewissermaßen einen roten Teppich aus. Madonnas Frühwerk „Like A Virgin“ spielen Texas Lightning „quasi im wörtlichen Sinne: nicht doppelbödig, nicht doppeldeutig oder sexy“, sagt Olsen. „Wir beschreiben das Gefühl, ganz jungfräulich, ganz rein, ganz neu zu sein.“ Die Schönheit des Liedes, gesteht Dittrich, sei in Madonnas Fassung an ihm vorbeigegangen: „Wenn man heute hört, wie das in diesen stählernen Achtziger-Sounds vor sich hin puckert, hat das nicht viel mit dem warmen Charme zu tun, den wir unserer Version gaben.“

Wahrscheinlich sind die meisten Komiker in ihrem Inneren zutiefst ernsthafte Menschen. Olli Dittrich jedenfalls macht im Interview – es findet in Schwerin nach einem der letzten Texas-Lightning-Auftritte vor dem Song Contest statt – keine Witze. Er spricht stattdessen über das „große Glück“, das es für ihn bedeute, „mit Freunden Musik zu machen“ und mit 49 Jahren künstlerisch noch einmal einen neuen Weg gehen zu können. Musik, so scheint es, ist Dittrichs große Liebe. Lange war das allerdings eher eine unglückliche Liebe. Von seinem ersten Album „Modern Guy“, das 1989 unter dem Künstlernamen Tim erschien, verkauften sich ganze 300 Exemplare. Dittrich musste erst lernen, dass er nicht zum Sänger, aber zum Schlagzeuger taugt. „Es beglückt mich“, erzählt er, „zu gucken, wo ich alle Empfindungen und Strömungen der Kollegen auf der Bühne zusammensammeln und daraus eine Balance schaffen kann, die ich mit meinem Groove schieben und unterstützen kann. Das ist ein gutes Gefühl, wie ein Mantra.“ Sein Vorbild: Ringo Starr.

Ob Texas Lightning Chancen haben in Athen? Olli Dittrich ist optimistisch. „Ich glaube, dass wir das ausstrahlen, was wir sind: Wir sind nicht gecastet, wir sind eine Band, die gewachsen ist.“ Texas Lightning werden ihr Bestes geben. „Mal sehen“, sagt Dittrich, „wo uns das hinführt.“

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