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Kultur: Ich bin ein glücklicher Friseur

„Open mike

Von Susanna Nieder

Drei erste Sätze. „Ich sah es Beas Gesicht an. Der Anruf war so dringend, als ginge es um Leben und Tod. Ich hörte die Stimme aus dem Telefon, hoch und schrill.“ Ein Roman, der so beginnt, muss entweder ein Krimi sein oder von Menschen mit hysterischen Neigungen handeln. In „Der Frisör“ ist beides der Fall, doch die Hysterie geht vor: Das Telefongespräch dreht sich um einen Friseurtermin. Der Mord kommt später.

Christian Schünemanns Debüt (Diogenes, Zürich 2004. 256 Seiten, 19,90 Euro) spielt in einem von der Society frequentierten Münchner Friseursalon. Sein Ich-Erzähler, der Frisör Tomas Prinz, ist der ruhende Pol in diesem Teil der Gesellschaft, deren einziger Lebenszweck das Schönsein zu sein scheint. Wer zu ihm kommt, erzählt von Affären und Erfolgen, lässt sich die Fassade erneuern und die Seele massieren. Zu Prinz’ Kundinnen gehört auch Alexandra Kaspari, Ressortleiterin Beauty beim Hochglanzmagazin „Vamp“. Am Morgen, nachdem Prinz sie frisiert hat, wird sie tot in ihrer Redaktion aufgefunden – und schon ist der Frisör in einen Mordfall verwickelt.

Im Gegensatz zu den meisten seiner Romanfiguren hat Schünemann Wichtigeres zu tun, als auf seine Frisur zu achten. Ständig schiebt er im Gespräch seinen Seitenscheitel an eine andere Stelle. Überhaupt kann er kaum stillsitzen, während er von der Schwierigkeit erzählt, einen sympathischen Ich-Erzähler zu schaffen, oder von der Notwendigkeit, Prosa von allem Überflüssigen zu befreien. Dabei haben seine Bewegungen nichts Hektisches, er wirkt eher, als würde er die Unterhaltung zu sehr genießen, um sie mit unbewegter Miene zu führen. Er spricht weder schnell noch laut, doch er moduliert jeden Satz und fährt sich mit den Händen durchs wellige Haar.

Die Krimihandlung dient in erster Linie als Rahmen. Sorgfältig und sparsam zeichnet er sein Milieu und trifft dabei einen ganz eigenen Ton. Der Frisör wählt naturgemäß äußere Details, um andere zu charakterisieren, doch er tut das mit einer Zärtlichkeit, durch die Alltägliches aufhört, banal zu sein. Zum Beispiel so: „Die Frau, die in der Eingangstür wartete, schloss ihren Sohn in die Arme, und in der Bewegung löste sich aus ihrem Haarknoten eine Strähne. Eine Freudensträhne.“

Unaufgeregt geht er mit den sexuellen Neigungen des Frisörs um, denn der ist, wie der Autor selber, homosexuell. Ein schwuler Frisör – selbst diesen Klassiker unter den Klischees bricht er auf. Prinz ist kein Selbstdarsteller und keine Tratschbase, seinen russischen Freund Aljoscha liebt er so, wie ein Mensch eben einen anderen liebt. Schünemann selbst hat um seine Homosexualität nie ein Aufhebens gemacht, sie nie verheimlicht.

Schünemann ist nördlich von Bremen aufgewachsen und lebt seit 15 Jahren in Berlin, doch die Modejournalistinnen und Skandalreporter, Kosmetikhersteller und Farbstylistinnen, die zwischen Glockenbachviertel, Schwabing und den Moderedaktionen am Arabellapark ihren Geschäften nachgehen, charakterisiert er treffend. Die Idee, den Salon des Münchner Frisörs Ulrich Graf als Ort der Handlung zu benutzen, stammt von Christa Geißler, der ehemaligen Chefredakteurin von „Cosmopolitan“ und Schünemanns Mentorin. Sie unterrichtete ihn im Porträtschreiben an der Evangelischen Journalistenschule Berlin. „Mein erstes Porträt hat sie in der Luft zerrissen. Ich dachte schon, ich tauge nicht dazu.“ Wenn er lacht, zieht er die Schultern hoch wie ein kleiner Junge, dem ein Streich gelungen ist.

Porträts wurden später seine Spezialität. Allerdings waren die Porträtierten oft unzufrieden mit seinen Texten, weil sein Augenmerk auch im Journalismus immer dem Alltäglichen galt: „Niemand möchte sich selbst gerne banal sehen.“

Als Romanautor darf Schünemann sich ungestraft auf die lakonische Beobachtung von Kleinigkeiten konzentrieren und erreicht damit oft einen komischen Effekt: „Ich kann öffentliche Toiletten nicht leiden. Der Mann rechts neben mir wippte auf den Zehenspitzen, schloss mit einer kurzen Kniebeuge den Hosenstall, und schon trat der nächste seufzend an die Rinne.“ Auf Christa Geißlers Vorschlag trug er das erste Kapitel seines Romans vor zwei Jahren beim „open mike“-Wettbewerb der Berliner Literaturwerkstatt vor, der am kommenden Samstag zum zwölften Mal stattfindet – diesmal im Podewil. Erst hinterher erfuhr er von Befürchtungen, sein Text könnte als zu oberflächlich verdammt und ausgebuht werden.

Es kam anders. Schünemann wurde ausgezeichnet und vom Fleck weg von Diogenes unter Vertrag genommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ein Slawistikstudium und zwei Jahre Journalistenschule hinter sich. Er hatte als Redaktionsassistent bei der Deutschen Welle, als Immobilienverkäufer in Moskau, als OSZE-Wahlbeobachter in Bosnien, als Reiseredakteur bei der „Cosmopolitan“ gearbeitet und fuhr seit einigen Wochen jeden Morgen nach Babelsberg, wo er sich im Storylinerteam einer Soap Geschichten ausdachte.

Nun nahm er sich zusätzlich jeden Abend sein Romanmanuskript vor „wie ein Beamter seine Wiedervorlagemappe“. Schünemann sagt es lachend, denn er hat neben eiserner Disziplin den großen Vorteil, dass er gerne spielt. In seiner Stimme schwingt immer leichte Verwunderung mit, als versetze ihn das Leben in Erstaunen. Vielleicht ist es dieses Erstaunen, das ihn zu einem guten Erzähler macht. Wenn ihm die Begeisterung abhanden kommt, sucht er sich etwas Neues – oder das Neue findet ihn. Beim Frisör wird das wohl nicht so bald passieren. Vielleicht wird das Buch verfilmt, auch einen zweiten Band fasst er ins Auge. Die harte Arbeit hat sich gelohnt. Um es mit Tomas Prinz zu sagen: „Ich war glücklich, ich war ein sehr glücklicher Frisör.“

Christian Schünemann liest zum Auftakt des „open mike“ (6. und 7.11.) am Freitag, dem 5.11., um 20 Uhr in der Literaturwerkstatt. Zusammen mit Larissa Boehning und Franziska Gerstenberg diskutiert er die Frage „Preis gewonnen – und nun?“

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