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Kultur: Ich bin mehr, als ich esse

Von Esther Kogelboom Dong-Ha Choe wird im Little Hanoi begrüßt wie ein gern gesehener Stammgast. Kaum, dass er draußen auf dem Bürgersteig an einem der Holztische Platz genommen hat, bringt der Koch einen großen Vorspeisenteller und sagt mit ausgeprägtem vietsischen Akzent: „Hau rin, Dong-Ha!

Von Esther Kogelboom

Dong-Ha Choe wird im Little Hanoi begrüßt wie ein gern gesehener Stammgast. Kaum, dass er draußen auf dem Bürgersteig an einem der Holztische Platz genommen hat, bringt der Koch einen großen Vorspeisenteller und sagt mit ausgeprägtem vietsischen Akzent: „Hau rin, Dong-Ha!“ Das liegt vielleicht daran, dass er, der Hobbyfotograf, sich an Dong-Has Bildern nicht satt sehen kann: „Er ist ein echter Profi, schau her.“ Strahlend betrachtet der Choes Bilder, jedes einzelne sehr lange. Das Little Hanoi ist ein durchschnittlicher Snack-Imbiss in einer durchschnittlichen Straße in Prenzlauer Berg. Es gibt Speisekarten-Flyer, einen Kühlschrank, aus dem man die Getränke selber holen muss und in der Ecke einen Schrein, bei dem gerade besonders schöne gelbe Blumen stehen, weil die Frau des Kochs nach Asien unterwegs ist und die Blumen ihr Glück bringen sollen. Dong-Ha Choe hat das alles für die Ausstellung „Heimat Berlin? Fotografische Impressionen“ dokumentiert, die noch bis zum 27. Oktober im Museum Europäischer Kulturen zu sehen ist – schwarzweiß, nüchtern, fast kalt und vor allem ohne aufdringliche Migranten-Romantik.

Im Little Hanoi hat Dong-Ha Choe gefunden, was er gesucht hat: Spuren und Zeichen einer anderen Kultur, in seinem Fall der asiatischen. Die deutsche Mikrowelle, mit fremden Schriftzeichen für das jeweilige Gericht

beschriftet, der Hausaltar, der Chef Nam Hai bei der versonnenen Lektüre einer vietnamesischen Tageszeitung. Sicher, man muss in Berlin nicht lange nach Zeichen fremder Kulturen suchen, aber es war wohl gerade die Durchschnittlichkeit, selbstverständliche Lässigkeit und die Alltagstauglichkeit des Little Hanoi, die den Fotografen bewegt haben. „Als Ausländer der zweiten Generation beginnt man irgendwann zwangsläufig, Interesse und Sympathien zu seinem Herkunftsland zu entwickeln“, erklärt Choe, dessen Eltern aus einem kleinen Fischerdorf in Südkorea stammen. Er selbst ist im beschaulichen Tübingen aufgewachsen und besitzt einen deutschen Pass. 1994 zog er nach Berlin und besuchte von 1996 bis 1999 den Lette-Verein, wo er sich zum Fotodesigner ausbilden ließ.

Es ist das erste Mal, dass das Museum Europäischer Kulturen sich der Zuwanderungs-Thematik widmet und damit dem kulturellen Geflecht Berlins. Neben den beeinduckenden Werken Dong-Ha Choes stellt das Dahlemer Museum unter der Leitung von Dagmar Neuland-Kitzerow und Elisabeth Tietmeyer die Arbeiten sieben weiterer zugewanderter Fotografinnen und Fotografen aus, darunter auch die hervorragenden Schüler-Porträts von Nihad-Nino Pusija. Aus eher konventionellem Blickwinkel zeigt Frank Löhmer Straßenmusiker, und Christina Pizas konzeptuelle Arbeit zum Thema „Brot“ amüsiert vielmehr durch ihre verkrampfte Konsequenz, als dass sie nachdenklich macht: „Ich bin mehr, als ich esse. Aber doch: Brot ist Teil meines Seins. Brot und Zeit des Lebens.“ Auch die Bilder von Deborah G. Moses-Saks, die von New York nach Berlin emigriert ist und die „Heimat aus der Perspektive einer schwarzen Frau“ zu interpretieren versucht, sind fast schon zu politisch korrekt - die Schnappschüsse von schwarzen Müttern und Jugendlichen bleiben qualitativ weit hinter den anderen Fotografien der Ausstellung zurück und lassen die Neugier und die frische Perspektive eines Dong-Ha Choe vermissen.

Der russische Fotograf Rais Khalilov, der ebenfalls seit 1994 in Berlin lebt und arbeitet, porträtierte für das Projekt Kinder vielerlei Herkunft: „Kinder benötigen nicht viele Worte zur Kommunikation, und sie interessiert auch keine Hautfarbe. Manchmal denke ich, dass Kinder viel klüger als Erwachsene sind.“

Probleme und Zweideutigkeiten des miteinander Lebens tauchen in „Heimat Berlin?“ nicht an die Oberfläche, so dass man - streng genommen - das Fragezeichen im Ausstellungstitel einfach wegstreichen könnte. Das hart Dokumentarische überwiegt, und die positiven Aspekte des Multikulti-Lebens scheinen streckenweise zu geschönt-facettenarm.

Dong-Ha Choe hat, so scheint es, durch das Ausstellungprojekt erst recht an seiner asiatischen Heimat Feuer gefangen. Choes Familiengeschichte ist dramatisch - der Großvater ist in Nordkorea verschollen, der Vater musste wegen Hochverrats lange ins Gefängnis - und von unvorhersehbaren Ereignissen durchzogen. Vier Wochen hat er einmal in dem Fischerdorf seiner Eltern verbracht, und obwohl er stets engen Kontakt zu seinen Wurzeln hatte, trat der schmale, 32 Jahre alte Mann mit den schulterlangen schwarzen Haaren und der Nickelbrille in so manches Fettnäpfchen: „Das Essen ist dort so scharf, dass einem ständig die Nase läuft“, sagt er, „aber man darf sich beim Essen nicht die Nase putzen oder niesen. Das werten die Koreaner als massive Unhöflichkeit.“

Man merkt schnell: Dong-Ha Choe will niemand anderer sein. Deutsch? Das ist er, irgendwie, der Kindergarten in Tübingen und danach die Schule haben das bewirkt. Berliner? Ist er auch, hier arbeitet er und schlägt sich mit Küchenjobs durch. Koreaner? Bei der Fußball-Weltmeisterschaft saß er wie viele ungläubig-fasziniert vor dem Fernseher und betrachtete die enthusiastisch feiernden Südkoreaner. Viele seiner Freunde haben ihn gefragt: „Für wen bist du eigentlich“, aber das wusste Dong-Ha Choe selbst nicht so genau. Beim Finale jedenfalls, da hielt er die Daumen für die brasilianische Nationalmannschaft.

Im Herbst will Dong-Ha Choe, der eigentlich Modefotografien liebt und Michel Comte verehrt, für längere Zeit in Asien umherreisen und Reportagen fotografieren: „Porträts von Zwangsprostituierten, Schamanismus.“ - „Die Zeichen und Spuren der Migranten in unserem Umfeld sind auf unterschiedlichste Weise wahrnehmbar“, schreibt Choe zu einem Altar-Bild. „Sie zeigen sich auch ohne die Anwesenheit einer Person. Allein die Einrichtung des Arbeitsbereiches, die Atmosphäre eines Raumes lassen die andere Kultur erahnen.“ Zum Abschied schüttelt der Koch aus dem Little Hanoi Dong-Ha Choe noch einmal ausführlich und herzlich die Hand. Dass jemand in seinem Restaurant etwas anderes will als eine gemischte Vorspeisenplatte, daran wird sich der Koch aus dem Little Hanoi wohl noch einige Zeit erinnern.

„Heimat Berlin? Fotografische Impressionen“ im Museum Europäischer Kulturen, Im Winkel 6-8, Dahlem.

Am 28. Juli ab 11 Uhr findet in dem Museum ein „Berliner Frühstück mit eßkultur“ statt, zu dem auch die Künstler anwesend sind. Nach Voranmeldung unter 839 012 79 kann man für 8 Euro von polnischem Rührei über Eierkuchen mit Smetana bis hin zu Baklava alles kosten, was Migranten nach Berlin gebracht haben.

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