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Kultur: „Ich bin wie ein Clown. Und ich halte nicht den Mund!“

Russlands Kulturminister Michail Schwydkoj über Kunst und Zensur, Politik und Show – und den Start ins deutsch-russische Kulturjahr

Herr Schwydkoj, Sie sind seit jetzt drei Jahren Kulturminister im Kabinett von Präsident Putin. Wieviel Einfluss haben Sie im neuen Russland?

Gute Frage!

Sie lachen. Heißt das, die Kultur und ihr Minister sind ohnmächtig – angesichts der politischen und ökonomischen Herausforderungen Russlands?

Nein, Russlands Identität beruht auf der russischen Kultur. Gleichzeitig aber lebt unsere Gesellschaft – wie die Kultur – in einem Zwiespalt zwischen Moderne und Pluralismus und auf der anderen Seite einem Hang zur Tradition und Nostalgie. Dieser Widerspruch zwischen Vergangenheit und Zukunft schafft enorme psychologische Probleme, auf allen Ebenen. Und durch die Kultur, durch eine Kultivierung auch des öffentlichen Lebens versuchen wir, den Menschen diese psychologisch komplizierte Phase des Übergangs zu erleichtern.

Was heißt das konkret?

Augenblicklich arbeiten wir zum Beispiel am Wiederaufbau der russischen Filmindustrie, an der Privatisierung des ZirkusWesens und an neuen Strukturen für die philharmonischen Orchester. Alle drei Bereiche haben für das Bewusstsein unserer Menschen große Bedeutung, und aus Staatsunternehmen, die noch sowjetischem Management unterliegen, müssen offene, konkurrenzfähige Projekte werden. Das ist eine Frage der Köpfe und des Geldes.

Und wieviel Geld haben Sie als Kulturminister zur Verfügung?

Es sind ungefähr 0,5 Prozent vom Staatsbudget und ungefähr 0,2 Prozent vom Bruttosozialprodukt. Zum Vergleich: Am Anfang meiner Zeit als Minister hatten wir umgerechnet etwa 220 Millionen Dollar zur Verfügung. Inzwischen haben wir rund 400 Millionen Dollar erreicht, und für das Jahr 2003 sind 650 Millionen eingeplant. Das ist ein Fortschritt! Aber natürlich immer noch viel zu wenig.

Fließen diese Gelder hauptsächlich in die großen Städte und kulturellen Zentren?

Nein, auch das Land ist wichtig , und dort werden nicht genug Steuern eingenommen, um Kultur zu fördern. Hier geht es vor allem um die russische Folklore. Die meisten Künstler leben heutzutage natürlich in den Städten, es entwickelt sich eine neue Generation, die moderne und innovative Kunst macht. Trotzdem muss die Volkskunst als authentisches kulturelles Erbe unterstützt werden.

Dominant aber ist Moskau, auch kulturell.

Allein in Moskau spielen 180 Theater, in ganz Russland 700. In Moskau gibt es 28 Symphonieorchester – in New York eines! Moskau hat heute mehr Theater als in der Zeit der Sowjetunion, weil die Privatbühnen boomen. Unser Hauptproblem ist, dass wir für diese Bühnen zu wenige passende Gebäude haben.

Ein Moskauer Theater ist fast in die Luft geflogen, als tschetschenische Rebellen im Herbst das Musical „Nord-Ost“ gestürmt haben.

Ab 8. Februar, also kommenden Samstag, spielt „Nord-Ost“ wieder, weil mein Ministerium zusammen mit dem Arbeitsministerium das Theater aus Sondermitteln sofort unterstützt haben. Obwohl diese Musical-Produktion ein kommerzielles Projekt ist, war das ein notwendiges Zeichen an die Welt.

Auch die Tschetschenen sehen ihren Widerstand, bis hin zu den Terroraktionen, als politisches Zeichen an die Welt.

Diese Frage betrifft nicht mein Ressort. Aber es gibt noch drängendere Probleme: Was wird aus Russlands Ressourcen, wenn wir in 50 Jahren all unser Gas und Öl verkauft haben? Was wird im Fernen Osten los sein, wie steht es mit dem Einfluss Chinas? Diese Fragen haben eine viel weiter reichende, brisantere Qualität. Im übrigen bin ich stolz auf unser neues Russland, denn wir haben in etwas mehr als einem Jahrzehnt einen historischen Sprung gemacht – und uns ins Reich der Freiheit bewegt.

Apropos kulturelle Freiheit: Nehmen Sie als subventionierender Minister keinerlei Einfluss auf Inhalte, etwa auf Spielpläne?

Ich werde mich nie in ideologische und ästhetische Fragen einmischen! Wenn wir bestimmte Institutionen oder Einzelprojekte, Festivals und Tourneen subventionieren, dann unterstützen wir nur die künstlerische Qualität.

Aber wer entscheidet darüber, was warum unterstützt wird?

Experten. Jurys. Meine Aufgabe ist es, mit der Regierung über das Finanzielle zu sprechen, nicht über Inhalte.

Wie weit hat sich denn im Hinblick auf demokratische und kulturelle Freiheiten das Denken in den Köpfen der Politiker verändert? Wie darf man sich ihre Stellung im Kabinett vorstellen?

Meine Lage ist ganz klar: Ich bin Politiker – aber nicht nur! Ich habe eine wöchentliche Fernseh-Talkshow, eine Stunde auf Kanal 5 mit dem Titel „Kulturelle Revolution“. (lacht) Und jetzt wurde die Show auch von Kanal 2 gekauft und sie kommt zweimal die Woche. Die Themen sind jeweils ganz unterschiedlich und oft sehr provozierend. Erst unlängst gab es einen Skandal, als es um die These ging, dass der russische Faschismus noch schlimmer sei als früher der deutsche. 24 Mitglieder des Parlaments haben daraufhin einen Brief an den Präsidenten geschrieben und meine Entlassung gefordert Und Sie sehen: Ich bin noch immer im Amt! Außerdem moderiere ich jeden Monat eine zweistündige Unterhaltungs-Show, mit Schauspielern, Filmregisseuren, mit Clowns – das heißt, wenn ich ins Kabinett komme, bin ich für alle der Mann aus dem Fernsehen.

Und das macht Sie populär und weniger angreifbar?

Es ist ganz hilfreich. Ich bin eben kein Oligarch oder Öl-Millionär, ich habe nichts – außer meiner Show und meinem Mundwerk. Ich bin eine Art marginaler Minister in diesem Kabinett, ja, eine Art Clown!

Früher hätte man Sie als Hofnarr bezeichnet. Der durfte den Mächtigen als Einziger die Wahrheit sagen.

Das ist eine gute Rolle; und weil ich jede Woche im Fernsehen rede, hören mir viele Menschen zu. Aber ich wäre nicht allzu überrascht und auch nicht traurig, wenn man mir eines Tages als Kulturminister den Stuhl vor die Tür stellt – kein Problem für mich. Ich werde der Clown bleiben, der ich bin!

Gegen einen Roman des international renommierten Autors Vladimir Sorokin, der unter anderem auch ein Kritiker des Tschetschenien-Krieges ist, hatte in Moskau ein rechter Jugendverband einen Prozess wegen angeblicher Pornografie angezettelt. Das war der Ruf: zurück zur Zensur!

Als der Prozess gegen Sorokin losging, war ich eines der ersten Opfer. Die Rechten wollten, dass ich entlassen werde. Jeder weiß, dass ich Sorokin als Autor nicht mag. Ich ziehe andere vor, Thomas Mann, Günter Grass, Heinrich Böll, um nur einige große Deutsche zu nennen. Trotzdem unterstütze ich ihn, weil die Vorurteile gegen ihn absolut dumm sind. Und Leute, die sich hier auf Präsident Putin berufen, tun das zu Unrecht. Man arbeitet auch mit Gerüchten, die Ressentiments mobilisieren sollen: Sorokin sei schwul, und mir wurde früher vorgeworfen, ich sei ein deutscher Spion. Für mich gehört das alles zu den unvermeidlichen Begleiterscheinungen eines riesigen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungsprozesses. Ohne Skandale, ohne Geschichten wie die mit Sorokin wäre das Leben auch langweilig!

Sind Sie denn sicher, dass man der Justiz in Russland vertrauen kann und dass sie künftig die Meinungs- und Kunstfreiheit verteidigen wird?

Das ist ein bedeutender Präzedenzfall, weil wir bisher keine rechtlichen Linien für die Abwägung haben. Man muss differenzieren zwischen künstlerischen Werken, wie beispielsweise dem „Letzten Tango in Paris“ oder Pornographie auf der anderen Seite. Das Absurde ist doch, dass man in Russland so viele harte Pornos kaufen kann, wie man will. Und dass man jetzt einen Prozess gegen einen literarischen Roman führt, ist ein Witz.

Schriftsteller wie Sorokin und andere Künstler sagen, Russland sei im Grunde noch immer ein feudaler Staat.

Die übertreiben gerne. Natürlich haben wir einige dumme und unnötige Schritte gemacht, aber auf dem Weg in die Demokratie! Wir leben in einer völlig neuen historischen Phase, und vor 15 Jahren wäre es auch undenkbar gewesen, dass einer wie ich hier Kulturminister wird. Natürlich, es gibt Kriminelle, Probleme mit der Mafia, die Kluft zwischen Reich und Arm: Aber Anfang der 90er Jahre hatten wir in diesem Land nicht genug Milch! Die Läden waren leer, es gab kein Essen. Die Leute vergessen das am liebsten. Und schauen Sie sich die Lage heute an: Außer in New York, Berlin oder London fühle ich mich überall wie in der Provinz – weil Moskau so eine starke, lebendige, widersprüchliche, brutale und reiche Stadt ist. Es fahren hier sogar mehr Mercedes rum als in Berlin!

Was fahren Sie selbst?

Ich fahre einen Volkswagen.

Und nun präsentieren Sie uns am Freitag mit Ihrer Kollegin Christina Weiss den großen russisch-deutschen Kulturaustausch.

Es beginnt mit russischen Filmen im Rahmen der Berlinale, es gibt Ausstellungen, Konzerte, Gastspiele und viel, viel mehr als etwa nur Diskussionen um die sogenannte „Beutekunst“. Auch da kooperieren wir ja jetzt sehr eng. Aber es ist ein Dreijahresprogramm, und 2005 wird ein historisch bedeutungsvolles Jahr für die Beziehung zwischen Russland und Deutschland sein: weil es das 60. Jubiläum des Kriegsendes ist. Wir sollten auf beiden Seiten sehr stolz auf dieses Datum sein und es, mit Blick in die Zukunft, gemeinsam feiern.

Das Gespräch führte Peter von Becker .

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