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Kopf hoch. Nanni Moretti als Kommunist ohne Gedächtnis, in „Wasserball und Kommunismus“ (1989). Zuletzt drehte er die Berlusconi-Farce „Il Caimano“ (2006). Foto: p-a/kpa

© defd Deutscher Fernsehdienst

Kultur: „Ich kämpfe hier. Das ist mein Land“

Nanni Moretti, dem das Arsenal-Kino eine Werkschau widmet, über Italien unter Berlusconi

Signor Moretti, Ihr erster Langfilm von 1976, da waren Sie Anfang zwanzig, hieß „Ich bin ein Autarkist“. Das kann man als frühes Lebensmotto deuten.

Durchaus, aber es gab damals ein Missverständnis über den Titel. Ich hatte die Lebenssituation des Helden gemeint, der frisch von seiner Frau verlassen worden war. Seine Unabhängigkeit war übrigens auch sexuell zu verstehen, eine Masturbationsszene im Film belegt das. Der Titel wurde dann aber, vom Publikum und von den Medien, auf meine Arbeitssituation bezogen. Ich machte schließlich alles allein: Ich war Drehbuchautor, hatte meinen kleinen Film selber produziert und inszeniert und spielte sogar selber mit. Diese Interpretation fand ich auch okay.

Wie autark fühlen Sie sich heute noch?

Ich habe eine Produktionsfirma, einen Verleih, ein eigenes Kino. Es kommt mir vor allem darauf an, als Autor auf meine Art zu erzählen, Filme mit meiner Persönlichkeit zu machen – wenn ich denn eine habe. Daher war es wohl die größte Herausforderung, auch innerhalb der Filmindustrie, also mit anderen Produzenten und fremdem Geld, ich selber zu bleiben. Das ist nun über 30 Jahre der Fall.

Es mag keine unmittelbare Zensur im heutigen Italien geben, aber wird Ihre Arbeit auf andere Weise behindert? Immerhin haben Sie 2006 mit „Il Caimano“, der in Deutschland als „Der Italiener“ herauskam, Berlusconi scharf kritisiert.

Nun, ich bin kein Anfänger, ich habe Preise gewonnen und ausreichend Erfolg beim Publikum, auch im Ausland. So ist es mir sogar gelungen, „Il Caimano“ mit italienischem und französischem Geld zu produzieren. Einem Anfänger hätte man vielleicht mehr Schwierigkeiten bereitet. Ich mache mir überhaupt mehr Sorgen um andere als um mich selber. Es wäre ja auch geschmacklos, mich als Opfer aufzuspielen, ich hatte schließlich Glück in all den Jahren. Die Probleme liegen anderswo, etwa in der Selbstzensur von Drehbuchautoren, Regisseuren und Produzenten. Sie wissen, dass ohne finanzielle Unterstützung des koproduzierenden Fernsehens nichts geht, ob des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie der RAI oder des Privatfernsehens Mediaset von Berlusconi. Also entstehen die kritischen Projekte gar nicht erst, die die Sender sonst vielleicht ablehnen würden.

Welche Rolle spielt dabei die politische Spitze, das Kulturministerium?

Italien braucht einen kompetenten, tüchtigen Kulturminister, aber seit Jahren haben wir so etwas nicht mehr. Immerhin gibt es inzwischen eine Reihe von ausgezeichneten Filmproduzenten, mit guten Beziehungen zu Regisseuren und Autoren, ganz anders als vor über 20 Jahren, als ich meine eigene Firma Sacher Film gründete. Nur fehlt heute ein kulturell-politisches Klima, das das Kino und auch das Theater stimuliert. Es fehlt an Gesetzen und Regeln, die die Kreativität und auch den Nachwuchs fördern.

Andererseits haben neuere politische Filme wie Paolo Sorrentinos „Il Divo“ oder Matteo Garrones „Gomorrha“, die sich mit den korrupten Machtstrukturen oder der Mafia beschäftigen, auch im Ausland Erfolg. Auf welche Weise inspirieren sie das politische Bewusstsein in Italien?

Der Erfolg dieser Filme ist nicht auf ihre Stoffe, ihre politischen oder auch sozialen A-Liga-Themen zurückzuführen. Sondern auf die künstlerischen Handschriften zweier Autorenfilmer, so verschieden sie auch sein mögen. Schon mit 20 hatte ich eine Aversion gegen den thematisch wichtigen Film, der schon deshalb gut sein muss, weil er sein Publikum auch noch irgendwie erwecken soll. Das führt auf ein totes Gleis. Als Zuschauer will ich einfach gute Filme sehen.

Die italienische Wirklichkeit dieser Tage ähnelt eher einem Film aus der B-Liga, der „Bunga Bunga Burlesconi“ heißen könnte. Müssen die Verhältnisse nicht jeden Künstler entmutigen, der sie womöglich noch karikieren will?

Das erinnert mich an das finstere Finale in „Il Caimano“. Ich spiele in diesem Film im Film den verurteilten Berlusconi, und als er das Gerichtsgebäude verlässt, beschwört er im Fernsehen Bombenanschläge gegen die herauf, die ihn verurteilt haben. Schon damals habe ich diesen Schluss als eine Metapher auf die Trümmer des Abenteuers Berlusconi bezeichnet, die Italien sich selbst aufgeladen hat: moralische, institutionelle, kulturelle, politische Trümmer. Damals meinten viele: „Wie pessimistisch!“ Heute sagen dieselben Leute dauernd zu mir: „Wann drehst du ,Caimano 2’“?

Fühlen Sie sich wie der sprichwörtliche Prophet, der im eigenen Land nichts gilt?

Wissen Sie, eine der Aufgaben des Kinos ist es, das zu erzählen, was das Publikum noch nicht sieht. Eine andere ist es, gerade in Italien, das sichtbar zu machen, was das Publikum nicht mehr sieht. Die Bürger – und Fernsehzuschauer – sind ja gar nicht mehr in der Lage, die italienische Wirklichkeit zu erkennen. Wir haben uns an unglaubliche Dinge gewöhnt, an für eine Demokratie völlig inakzeptable Anomalien, die in Frankreich, Spanien, Deutschland oder England undenkbar wären. Zum Beispiel: Wie kann ein Mann, der quasi das Monopol über das Fernsehen, über Radio und Zeitungen hat und eigene ökonomische Interessen durchsetzt, an der Spitze einer Regierung stehen?

Immerhin, Sie haben gekämpft. Von „Aprile“ 1997 bis zu „Il Caimano“ neun Jahre später haben Sie sich in Ihren Filmen mit Berlusconi beschäftigt. Und zwischenzeitlich sind Sie als Inspirator der außerparlamentarischen Girotondi-Bewegung in die Politik gegangen.

Wir sollten unseren Beruf nicht als Mission missverstehen. Als ich 2002 mit den Girotondi protestierte, gegen die Rechtsregierung Berlusconis und ebenso gegen die zu schwache linke Opposition, tat ich das nicht als Regisseur oder als Intellektueller – ich bin gar kein Intellektueller, ich bin nicht groß gebildet –, sondern als Bürger. Ich wollte vermeiden, dass eine Partei meine Bekanntheit für ihre Interessen nutzt. Lieber wollte ich selber Gesicht zeigen zugunsten von Ideen, an die ich glaubte. Als Filmregisseur erzähle ich ohnehin meist intime, persönliche, fast private Dinge. Ja, ich gehöre wohl zu den unpolitischsten Regisseuren, die sich denken lassen.

Girotondi gibt es nicht mehr, aber Berlusconi immer noch. Muss man da nicht ans Auswandern denken?

Ich halte nichts von Leuten, die immer nur sagen „ich gehe, ich gehe“. Ich arbeite gerne hier, ich bleibe hier, ich kämpfe hier. Das ist mein Land.

Zurzeit arbeiten Sie am Schnitt Ihres Films „Habemus Papam“. Es geht um einen neu gewählten Papst in Schwierigkeiten. Können wir mit einem – auch metaphorischen – Bezug zum deutschen Papst Benedikt XVI. rechnen?

Ich erzähle keine Geschichten, die sich aus der Aktualität speisen, sie sind für mich nur insofern aktuell, weil ich sie gerade jetzt erzähle. So wie vor fünf Jahren, als ich in „Caimano“ von der Begegnung eines B-Liga-Regisseurs mit einer Nachwuchsregisseurin erzählte, die einen Film über Berlusconi drehen will. In „Habemus Papam“ geht es nicht um den aktuellen Papst. Nun, es geht um einen Kardinal. Plötzlich wird er Papst. Und depressiv.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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