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Kultur: Ich sollte gar nicht hier sein

Schrecklich komisch: „Mutters Courage“ mit Nicole Heesters am Berliner Renaissance-Theater

Es spielt keine Rolle, wie unglaublich oder wahr oder beides diese Geschichte ist. Wichtig ist nur, was sie erzählt. Und dass sie erzählt wird. Von Elsa Tabori handelt sie, die im Jahr 1944, „einem guten Erntejahr für den Tod“, von Ungarn nach Auschwitz deportiert werden soll, auf halber Strecke aber einem SS-Offizier gegenübertritt und wider alle Wahrscheinlichkeit mit dem Protest gegen ihre Verhaftung Gehör findet. Sie, die Mutter, habe den Hergang ihrer märchenhaften Rettung aufgeschrieben, „als wir zusammen in Italien waren – und es ihr langweilig war“, hat George Tabori in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstags erzählt. Er dichtete eine Erzählung und ein Theaterstück daraus, das er mit freundlichem Gruß an Brecht „Mutters Courage“ taufte.

Die Langeweile und das Ungeheuerliche laufen auch in Taboris lebensprallem Drama auf parallelen Gleisen. So wie der Viehwaggon Richtung Auschwitz und der Ferienzug voll fröhlich lärmender Urlauber am Bahnsteig gegenüber.

Das annähernd 30 Jahre alte Stück, das in der Regie von Torsten Fischer nun am Renaissance-Theater Premiere feierte, nachdem die Inszenierung im vergangenen Jahr bereits an den Hamburger Kammerspielen zu sehen war, zählt zu jenen Theatergeschenken, bei denen man sich nicht fragen muss, in welchem modischen Gewand sie gezeigt werden sollen. „Mutters Courage“ beschwört die flüchtige Gestalt des Erlebten, das im Spiegel der Erinnerung stets näher und konturierter erscheint, als es ist. Mutter und Sohn, so hat Tabori es gewollt, feilschen um Dichtung und Wahrheit. Für Heiligenbilder lässt das keinen Platz. Und Fischers kluge, ganz auf die Hauptfiguren konzentrierte Aufführung gewährt Nicole Heesters und Markus Gertken allen Raum, dieses schrecklich komische Spiel zu entfalten.

Auf der kargen Bühne von Herbert Schäfer, dem als Mobiliar Drehstuhl und Sessel genügen, liegt eine sanfte Schicht des Schnees von gestern. Zwei Drahtseile, etwas über Kopfhöhe gespannt, warten auf einen Brecht-Vorhang, der nie gezogen wird, vielleicht versinnbildlichen sie aber auch die Nervenstärke der Mutter, die im entscheidenden Moment, über 4000 Leidensgenossen im Rücken, spricht: „Ich sollte gar nicht hier sein.“ Nicole Heesters gibt diese Elsa als liebenswerte Simplicissima, obrigkeitsergeben bis zur Lächerlichkeit – eine Frau, die brav auf die ungarischen Geheimpolizisten wartet, die sie versehentlich schon abgehängt hatte. Heesters spielt sie liebenswert, naiv – ohne ihre Figur je zu entmündigen. Und Gertken ist ihr ein guter Sohn, einer, der wohl um den Zwiespalt weiß, sich die Geschichte der Mutter literarisch anzueignen, der aber mit allem Trotz und als versierter, humorbegabter Erzähler das Recht auf die eigene Sicht behauptet.

Taboris Stück ist frei von Empörung. Ganz wie bei einer anderen Familiengeschichte, die er oft erzählte. Dass der Vater sich an der Tür zur Gaskammer verbeugte und zu einem Mann sagte: „Nach Ihnen, Herr Mandelbaum.“

Wieder heute und am 27., 29., 30. 4 sowie am 2., 3., 5. 5, jeweils um 20 Uhr.

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