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Kultur: Ich träumte von bunten Blumen William Kentridge an der Humboldt-Universität

Für die akademische Begriffsmusik und ihre fest gefügten Formen war er nie zu haben. Als Künstler folgt William Kentridge einer assoziativen Logik, die ihre eigene Folgerichtigkeit und Präzision entwickelt.

Von Gregor Dotzauer

Für die akademische Begriffsmusik und ihre fest gefügten Formen war er nie zu haben. Als Künstler folgt William Kentridge einer assoziativen Logik, die ihre eigene Folgerichtigkeit und Präzision entwickelt. Von ihr leben seine Zeichnungen, Animationsfilme, Inszenierungen. Und seine poetologischen Selbstergründungen, die sich von seiner eigentlichen Arbeit kaum trennen lassen. „Image & History“, die Mosse Lecture, die der jüdische Südafrikaner am vergangenen Montag im Audimax der Humboldt-Universität hielt, war denn auch ein artistisches Ereignis eigenen Ranges – und durch die Materialität der Auseinandersetzung so nah am Semesterthema „Europa im Blick der ,Anderen’“ wie kein zweiter Vortrag der Reihe.

Eine Kindheitserinnerung an Johannesburg. Ein erster Besuch im geteilten Deutschland 1981 mit Ausflug nach Ost-Berlin. Ein Gemälde von Caspar David Friedrich, das leeres Marschland an der Elbe bei Dresden zeigt. Die Lektüre von Hegel und seines französischen Advokaten Alexandre Kojève. Das waren nur einige der Elemente, die er miteinander reagieren ließ und mit Ausschnitten aus seinem gerade entstehenden Filmzyklus zu Schuberts „Winterreise“ ergänzte.

Und auf einmal erschloss sich, was eine todesgetränkte deutsche Romantik mit der Wirklichkeit eines noch immer von Apartheiderfahrungen geprägten Landes zu tun hat. Man erkannte in der subtilen Ödnis von Kentridges Landschaften, die den vermeintlichen Bildgegenstand in den Hintergrund rücken, den Blick von Friedrich. Man ahnte, wie getroffen sich der südafrikanische Leser von der Herr- Knecht-Dialektik fühlen musste. Und vor allem erfuhr man, wie Schuberts Lieder in den 60er Jahren Kentridge zunächst als reiner Klang eroberten, indem sie der Vater in einer Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore immer wieder auflegte – zum Leidwesen der Mutter.

In der Schule sang er auf Englisch die „Forelle“. Aber dem Land, in dem er lebte, waren helle klare Bächlein fremd: Ein „brooklet“ erschien ihm wie ein schlechter Witz. Vielleicht war das der Moment, in dem er begriff, dass Bild, Text und Musik Imaginationsräume eröffnen, die in keinerlei illustrativem Verhältnis zueinander stehen müssen. Er wolle kein Lob des Unverstandenen anstimmen, erklärte er, aber der Titel eines Liedes allein könne die Fantasie mehr bewegen als sämtliche mühevoll übersetzten Strophen. Insofern gibt es bei ihm nun auch keine „Wetterfahne“, sondern Kartonskulpturen, die je nach Perspektive ihre Gestalt ändern.

„Listening to the Image“: Der Titel des auf Youtube verfügbaren, in vielem verwandten Vortrags, den Kentridge im Oktober in Chicago hielt, wäre das ideale synästhetische Motto für diese Herangehensweise. Wobei es Kentridge weniger auf Kreuzung der Sinne anlegt als auf stille Korrespondenz unterschiedlicher Orte und Zeiten. Ein Baum ist für Kentridge ein konkreter Baum, der sich in allen Details erfassen lässt. Er ist aber auch die Summe aller Gedanken, die sich um ihn ranken. Er ist der Galgen, von dem gelynchte Schwarze hängen, wie sie Billie Holiday einst besang. Und er ist eine kalligrafische Herausforderung. Gregor Dotzauer

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