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Kultur: Ich wollte auf niemanden schießen

Rai ist sein Rock’n’Roll: Der algerische Popstar Khaled über Terror, Islam, Heimat und Weltmusik

Den Titel „Cheb“, was so viel heißt wie Junge, hat er zwar aus seinem Künstlernamen getilgt, aber das jugendliche Funkeln in seinen Augen ist geblieben. Khaled ist einer der bekanntesten Sänger der arabischen Welt und der prominenteste Vertreter der algerischen RaiMusik, die westliche Stile, wie Jazz, Soul und Hiphop mit arabischen Rhythmen und Melodien verbindet. Sein lautstarker Protest gegen Intoleranz und Antisemitismus haben immer wieder Islamisten gegen ihn aufgebracht. Im Oktober erschien nach fünf Jahren das neue Album „Ya Rayi“ des Algeriers mit Wohnsitz in Frankreich und Luxemburg. Khaled tritt am 20. November in der Berliner Columbiahalle auf.

Ihr neues Album beginnt mit einem klassischen Klavier-Vorspiel . . .

Das ist Rai für Crooner.

Drückt das Ihre Verbundenheit mit der europäischen Musik aus?

Nein, überhaupt nicht. Das Klavier gibt es doch überall auf der Welt. In den Sechzigerjahren wurde bei uns zu Hause Rai-Musik mit Klavier, Maracas, Bongos, Gitarre, Akkordeon und Congas gespielt. Wir hatten sogar unsere eigene Art, Walzer zu spielen.

Sie sind der einzige arabisch-stämmige Musiker, der weltweit Hits in den Charts landen konnte. Ihr Song „Aicha“ gibt es als Hiphop- und als Salsa- Version.

Diese Hiphop-Version ist toll. Sie singen auf Englisch und kommen aus Deutschland oder Skandinavien, nicht wahr? Wie heißt die Gruppe?

Outlandish.

Genau – und im Video zeigen sie mich auf dem Cover meiner Platte.

Sehen Sie sich als Vorreiter eines jungen westlich orientierten Arabertums?

Ich bin ein Sänger, ein Künstler, der Grenzen überschreitet. Aber ich würde nicht sagen, dass ich ein arabischer Sänger bin, der ein Okzidentale geworden ist. Früher wurde ich in Frankreich bei FNAC unter World Music einsortiert. Als ich dann mit „Didi“ erfolgreich wurde und in Frankreich als großer Künstler betrachtet wurde, galt ich plötzlich in den Plattenläden als „französischer Sänger“. Ob mir das missfällt? Nein, ich bin doch unter französischer Fahne geboren worden.

Rai war ursprünglich die Musik des algerischen Undergrounds. Werden Sie heute von allen Schichten akzeptiert?

Ja, denn ich habe sie dazu gezwungen. Es gibt Menschen, die glauben, Rai sei von der Regierung verboten gewesen. Aber das war einfach die Musik des Westens von Algerien, die in Cabarets gesungen wurde, bei Hochzeiten und Feiern. Es wurden viele Kassetten produziert, die es auch zu kaufen gab. Nur im Radio und Fernsehen gab es die Musik nicht.

Der Rock ’n’ Roll hat Sie stark geprägt?

Es gibt eine wichtige Parallele zwischen Rock ’n’Roll und Rai. Beides war verpönt als die Musik der Hippies und von Leuten, die Drogen nahmen. Die alten Männer in den Moscheen wetterten gegen Rai. Genau wie in der Rockmusik wird beim Rai aus der Hüfte heraus getanzt. Das war in Algerien genauso verpönt wie in den Kirchen des Westens. Männer die mit den Hüften wackeln, sind keine richtigen Männer. Bis 1985 habe ich gekämpft. Am 1. Januar 1986 bin ich dann nach Frankreich gegangen.

Sie sind geflohen. Wie sähe Ihre Karriere heute aus, wenn Sie in Algerien geblieben wären?

Vielleicht wäre ich tot. Ich ging fort, weil ich meinen Militärdienst nicht machen wollte. Ich wollte nicht auf Menschen schießen. Sie sagten, Elvis hat doch auch seinen Militärdienst geleistet, du musst ein Vorbild für die Jugend sein. Aber womöglich hätten sie in den zwei Jahren der Wehrpflicht in Algerien aus mir nur einen Faschisten gemacht. Außerdem habe ich damals zu viel getrunken, wahrscheinlich wäre ich heute Alkoholiker oder Clochard.

Sie leben in Paris und Luxemburg. Sehen Sie sich selbst nach wie vor als Araber oder eher als Franzose?

Ich bin kein Araber, ich bin Maghrebiner. Ich lebe in Luxemburg nur, weil ich dort weniger Steuern zahlen muss. In Frankreich zahlen Künstler hohe Steuern, aber die Kinder werden kaum unterstützt, in Luxemburg erhalte ich sogar Kindergeld. Ich bin als Sänger und Künstler wie ein Zigeuner. Wo ich bin, ist mein Zuhause. Wenn man keine Probleme hat und keine radikalen politischen Ansichten, dann fühlt man sich auch nicht wie im Exil.

In Deutschland forderten Politiker nach den jüngsten Terroranschlägen, die hier lebenden Muslime sollten sich stärker von radikal islamischen Terroristen distanzieren. Sehen Sie das auch so?

Die deutsche und die französische Regierung wissen genau, wen sie treffen müssen und wo sie die wirklich Verantwortlichen finden können. Sie tun es nur nicht, weil sie Angst vor den Folgen haben. Das Einzige, was die Politiker mit solchen Forderungen erreichen ist, dass die Muslime, die bisher ein ganz normales Leben führten, sich ausgestoßen und verdächtigt fühlen. Das gibt den Radikalen nur noch mehr Macht.

Hatten die katastrophalen Anschläge vom 11. September und die Angst vor jedem, der arabisch aussieht, Folgen für Sie?

Warum ist eigentlich die ganze Welt wegen zweier Türme traurig? Zehntausende Frauen wurden in Bosnien vergewaltigt, in Zaire wurden Menschen mit Macheten massakriert, in Haiti in Reifen verbrannt, die Taliban ermordeten Frauen im Stadion. Aber wegen zweier Türme werden die Menschen wach, alles andere wird vergessen. Das erschüttert mich.

Das Gespräch führte Oliver Hafke-Ahmad.

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