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Kultur: Idealstadtwahn

Eine Ausstellung in der brasilianischen Botschaft.

Leben in dieser Stadt Menschen? Wenn man sie nur von weit genug oben fotografiert, verschwinden die Bewohner. Aus einem von alltäglichen Wegen und Erfahrungen durchzogenen Lebensraum wird eine kühle, geometrische Struktur. Und plötzlich steht sie rein vor einem: die Idee, die Stadtplaner einst beflügelte. Ein über 25 Quadratmeter großes Satellitenfoto der Großstadt Brasília hat die brasilianische Botschaft in ihren Räumen in der Wallstraße aufgebaut. Als winzige schneeweiße Klötzchen sind darauf die Bauten der ab 1957 auf dem Reißbrett entworfenen Hauptstadt montiert. Was später an Wildwuchs, Satellitensiedlungen und Vorstadtkonglomeraten drumherum entstand, verschmilzt mit dem Terrain zu einer ornamentalen Fläche.

Im Vorfeld der Fußball-WM pflegt das krisengeschüttelte Brasilien sein Image mit dem Mythos einer ultramodernen Hauptstadt und lässt eine Wanderausstellung mit 180 Fotos, Originalentwürfen, Skulpturen und Plänen durch die Welt touren. Jetzt ist Berlin dran. Ein Heimspiel für den architektonischen Schöpfer, den deutschstämmigen Oscar Niemeyer, der zusammen mit dem Stadtplaner Lucio Costa Brasília ersann. Er hat im Hansaviertel zur Bauausstellung 1957 ein elegantes Wohnhochhaus errichtet. Ähnliche Bauten akkumulierte der Le-Corbusier-Schüler wenig später in Brasília zu kilometerlangen Wohnarealen für Besserverdienende. Wie Flügel ragen diese Sektoren aus dem Rumpf des symmetrischen Stadtkörpers hervor. An der Hauptachse hingegen prangen repräsentative Haupt- und Staatsbauten. Albert Speer und Hermann Henselmann hätte das gefallen.

Altbauten abreißen mussten die Planer Brasílias nicht. Mitten im staubigen Nirgendwo des brasilianischen Hinterlands hatte eine Expedition schon 1892 den Bauplatz für eine künftige Hauptstadt festgelegt, tausend Kilometer entfernt von Rio de Janeiro. In vier Jahren stampften 50 000 Arbeiter ab 1956 die Stahlbetonmetropole aus dem Boden. Danach war Brasilien pleite. Die Aufbruchstimmung spiegeln historische Fotografien von Meistern wie Marcel Gautherot und Mário Fontanelle, die die Arbeiten in bester Bauhaus-Tradition in rasanten Schrägsichten und Totalen ablichteten. Auf den jüngeren, großformatigen Farbfotos von Fabio Colombini stört kein Mensch die Kulisse. Elke Linda Buchholz

Brasilianische Botschaft, Wallstr. 57, bis 16. Februar; Mo bis Fr 10 – 18, Sa 11 – 18 Uhr. Die Ausstellung „Brasiliens Moderne“ im Museum für Fotografie (Jebensstraße 2), in der ebenfalls Fotografien zur Entstehung Brasílias zu sehen sind, wurde bis 27. April verlängert.

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