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Kultur: Ihr erster Roman "Was machen wir jetzt?" - Buddhismus und Bohnenkaffee

Der Mensch, seien wir ehrlich, ist ein mickriges Tier. Schweigt ins Handy für eine Mark fünfzehn die Minute, kämpft mit Fußschweiß, Mücken und Schlaflosigkeit.

Der Mensch, seien wir ehrlich, ist ein mickriges Tier. Schweigt ins Handy für eine Mark fünfzehn die Minute, kämpft mit Fußschweiß, Mücken und Schlaflosigkeit. Auch die Zukunft liegt nicht gerade rosig vor ihm. Ein Mittvierziger zum Beispiel hat noch circa 12 000mal Zähneputzen vor sich, 39 Erkältungen und 156 Strafzettel. Dann ist Feierabend, statistisch gesehen. Theo zum Beispiel fällt tot vom Rad. Herzinfarkt - in häßlichen, roten Radlerhosen.

Aber es geht gar nicht um Theo in "Was machen wir jetzt?", dem ersten Roman von Doris Dörrie nach sechs Bänden mit Kurzgeschichten und zwei Kinderbüchern. Es geht um Fred. Fred heißt Kaufmann und ist auch einer. Er hat eine Familie und einen Toyota. Mit dem Toyota fährt er nach Südfrankreich ins Zen-Kloster, weil seine Familie ihm gerade abhanden zu kommen droht. Ehefrau Claudia sucht ihr Heil längst im Buddhismus, und Tochter Franka will mit einem tibetischen Lama nach Indien auswandern. Im Kloster wird Vater Fred meditieren, Reis kauen und versuchen, Franka von ihrem Lama abzubringen. Das jedenfalls ist sein Plan. Natürlich kommt alles ganz anders.

Fred trifft Theo, der sich beim letzten Klosteraufenthalt in Claudia verliebt hat. Und er trifft Antje aus Amsterdam, Theos Frau, die nicht ahnt, dass Freds Gattin Theos Geliebte ist. Zwei Männer, zwei Frauen: vier Menschen, die aneinander leiden. Der Guru spricht vom Glück, Frankas Lama ist eigentlich ein netter Kerl, und sanft errötet der Hibiskustee.

Doris Dörrie hat eine Botschaft. "Mein Zen-Doppelpack", sagt sie lachend am Telefon, meint ihr Buch und ihren Film "Erleuchtung garantiert", der im Januar ins Kino kommt. Die Botschaft vom Glück: Laßt alle Pläne fahren, genießt den Augenblick! Kurze Sätze, simple Wörter, Selbsterfahrung und Eso-Trip. Eine blöde Geschichte - und doch wieder nicht. Denn Doris Dörrie drängt uns ihre Botschaft nicht auf. Dafür kennt sie uns zu gut. Unsere schnöden Sehnsüchte, unsere verkümmerte Phantasie, unsere Mückenmilch und unsere Toyotas.

Ob in ihren Filmen, den Kurzgeschichten oder nun in ihrem Roman: Immer erweist sich Dörrie als präzise, stille Chronistin ihrer Generation. Der Generation der Nach-Achtundsechziger, die nur im Kopf rebelliert. Fred ist einer von ihnen. Er leidet im Stillen darunter, dass er an der Grenze unkontrolliert durchgeht, weil sein Outfit nicht mehr auf einen staatszersetzenden Kofferrauminhalt schließen läßt. Er gehört zu denen, die ihre Ehen mit Autos vergleichen, wegen der überfälligen Reparaturen. Und er registriert so etwas wie Entfremdung, wenn die Welt um ihn herum im Bild gefriert. Doris Dörrie hört nicht auf, sich über diese Stilleben zu wundern. Es sind Klischee-Bilder: Warenwelt, Seifenoper, Disneyland.

Bei ihrer Glückssuche begibt sich die Erzählerin mitten in die Niederungen des Alltags. Sie schaut das Normale so lange an, bis es fremd zurückblickt. "Objects in the mirror may be closer than they appear", steht auf dem Seitenspiegel von Freds Toyota. Dörries kunstlose Sprache verkehrt die optische Täuschung in ihr Gegenteil. Sie nimmt den Spiegel, der uns die Welt vom Leib hält, unter die Lupe. In der Farce von der Kleinfamilie an der Autobahnraststätte. Auf dem Campingplatz, wo die Wohwagen wie eine Herde um den See herumstehen. Oder im Eifersuchts-Szenario des Ich-Erzählers Fred. Delirierend spinnt er sich sein Ego zurecht, als Westernheld und Ritter der Weiblichkeit, irgendwo zwischen Märchen und Margarinereklame. Und ist doch nur ein einsamer, selbstgefälliger Kerl. Man mag ihn beinahe.

Dörries Phantasie entzündet sich an den schäbigen Accessoires der Moderne und nimmt sie beim Wort. Sie ist sich nicht zu schade, darüber zu schreiben: über Müsliriegel und Blasenpflaster, Nikotinsucht, Haare im Abfluß und die Sonnenblumen van Goghs. Dabei gehen das Erhabene und das Banale Hand in Hand: der Buddhismus und die Sehnsucht nach Bohnenkaffee. Das Meditieren und die eingeschlafenen Füße dabei. Oder die Erfahrung des Todes. Sie mündet in einen Showdown, der sich seine Spannung vom Actionkino leiht. Happy-End in der Talkshow: "Was machen wir jetzt?" oder die heitere Wissenschaft vom Abenteuer Normalität.

Dabei schärft sich Dörries Beobachtungsgabe an der Einfachheit ihrer Worte. Und an der sanften Ironie, die sie gegen eben diese Worte wendet. Ständig wird etwas verglichen. Fred fällt in die Honigaugen einer Frau hinein wie in einen Honigtopf. Er verlegt seine Gefühle wie einen Schlüssel. Das Hotelzimmer sieht aus wie in einem amerikanischen Film. Das Lachen platzt wie eine Seifenplatze, das Innere stülpt sich um wie ein Handschuh und das Glück, ja das Glück, prickelt wie Brausepulver. Es ist eine Manie mit diesem Wie; ganze Buchseiten sind förmlich damit übersät. Bis die Leserin merkt: Das macht Dörrie extra. Sie trägt so dick auf, weil auch das zur Entfremdung gehört. Was man sagen möchte, entzieht sich dem Audrucksvermögen, also behilft man sich mit Vergleichen. Indem die Erzählerin noch ihre eigenen Klischees bedient, hebt sie sie aus den Angeln. Behutsam, unmerklich, en miniature.

Ihre Kurzgeschichten lebten von Miniaturmalerei. Trägt das auch einen Roman? Doris Dörrie macht keinen Hehl daraus, wie sie ihn konstruiert hat. Sie setzt ihre 300 Seiten lange Geschichte aus Rückblenden, Perspektivwechseln und ineinander geschobenen Stories zusammen, die funktionieren wie das berühmte Bild von der Käseschachtel auf der Käseschachtel auf der Käseschachtel. Mehr noch, sie erlaubt uns einen Blick auf ihren Zutatenzettel: Franka heißt Franka wie Franka Potente, die in Dörries letztem Film "Bin ich schön?" eine der Hauptrollen spielte. Vom Ausflug ins Zen-Kloster infolge einer Ehekrise handelt auch "Erleuchtung garantiert". Fred hat einmal an der Münchener Filmhochschule studiert, wie einst die Autorin. Und ihre Protagonisten - die Yogalehrerin, der Versager namensNorbert, die Yuppies mit ihren Mobiltelefonen oder Nhiem, der vietnamesische Mönch, der als schwuler Kellner in einem kandadischen Chinarestaurant arbeitet: Entstammen sie nicht dem Personal der deutschen Beziehungskomödien? Und wenn schon.

Es kommt nicht darauf an, verrät dieser Roman, die Welt zu bemeinen und nach unseren Vorstellungen zurechzumodeln. Es kommt darauf an, die längst zurechtgemodelte Welt aus unserem verstellten Blick zu entlassen. Fred sitzt im Auto und holt sich einen runter. "Der Abendstern ist aufgegangen", heißt es danach. So sind wir eben: die Hand zwischen den Beinen und den Kopf in den Sternen. Mickrige Tiere, die nicht aufhören, an ihre Menschwerdung zu glauben.Doris Dörrie: Was machen wir jetzt? Diogenes Verlag, Zürich 1999, 304 Seiten, 39,90 Mark.

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