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Kultur: Im Auge der Erinnerung

Till Leesers Fotografien von Buchenwald

Ein diffuses Halb-Halb. Etwas Nebliges, Verschwommenes, Unentschiedenes. Ein vages Gefühl eben. Fotografen nennen solche Ungenauigkeit Unschärfe; in der Regel gilt sie als Handwerksfehler, als Schlamperei. Denn Fotografien zeigen die Wirklichkeit gern schärfer, als sie in Wirklichkeit ist.

Was aber, wenn der Gegenstand selbst schwer zu fassen, zu begreifen ist? Weil es sich um einen Ort der Erinnerung und der Verdrängung handelt, der Vergegenwärtigung und des Vergessens? Er habe, erzählt der Hamburger Fotograf Till Leeser, beim Besuch von Konzentrationslagern stets das Gefühl: „gerade noch eingefangen und noch nicht ganz verschwunden“. Zwischenraum, Zwischenreich: Ort und Nicht-Ort, Stätte des Erinnerns und des Verschwundenen.

Heute wird in Buchenwald bei Weimar der Befreiung des Konzentrationslagers gedacht. Zum 60. Jahrestag werden Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesinnenminister Otto Schily und Kulturstaatsministerin Christina Weiss gemeinsam mit dem Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertész, dem Schriftsteller Jorge Semprún und anderen ehemaligen Häftlingen an die mehr als 56000 Menschen erinnern, die hier ums Leben kamen. Die ARD überträgt die Feierlichkeiten aus dem Weimarer Nationaltheater.

Till Leeser hat in den Jahren 2003 und 2004 in Buchenwald fotografiert. „Displaced Memories“ heißt die Serie, die ab 21. April in Hamburg gezeigt wird (Forum Altona, Jessenstr. 10, bis 20. Mai). Zu sehen sind menschenleere Plätze, Baracken, Rampen, Schienen: dunkle Schemen, die das Lager wie hinter Regen- oder Tränenschleiern erscheinen lassen. Er wolle das „Phänomen des Sich-Erinnerns“ provozieren, sagt Till Leeser. Seine Bilder wissen auch: Das Auge der Erinnerung wird blind.

Christina Tilmann

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