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© dpa

Haus der Kulturen der Welt: Im Auge des Sturms

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt feiert heute 20. Geburtstag.

Quentin Tarantino, der klügste aller Kino-Killer, hat im Grunde seines schwarzen Herzens bloß eine historische Konstante überdreht: Jede Kultur und jede Zivilisation ist eine wilde Mischung, ein Konglomerat, ein hybrides Wesen, vulgo: ein Bastard.

Es gibt viele – und wohlklingendere – Begriffe für dieses Phänomen. Vor zwei Jahrzehnten, als in die Berliner Kongresshalle das Haus der Kulturen der Welt (HKW) einzog, sprach man euphorisch von Multikulti; da schwangen noch der alte Sponti-Gestus mit, der politische Zauber der Dritte-Welt-Läden und der Stolz auf die internationale Enklave West-Berlin, die im Sommer ’89 nichts ahnte von ihrem nahenden Ende. Kwame Anthony Appia verficht die Idee eines „zeitgemäßen Kosmopolitismus“. Am heutigen Mittwochabend hält der Philosoph – er stammt aus Ghana, studierte in Cambridge und lehrt in Princeton – die Festrede zum 20. HKW-Geburtstag. Die Feierlichkeiten stehen unter dem investigativen Motto „The Spirit of the Haus“. Auch ein Bastard, ein englisch-deutscher.

Der Geist des Gebäudes mit dem kühn geschwungenen Dach gab sich stets als ein bejahender. 1957 erbaut, als Geschenk der USA, sollte die Kongresshalle als Symbol der neuen transatlantischen Freundschaft im Tiergarten prunken; damals am Rande der West-Berliner City. Das Generös-Symbolhafte der HKW- Gründung lag in der öffnenden Geste zur Welt, die seinerzeit von Globalisierung nur einen blassen Schimmer hatte. Der Bund und das Land Berlin hatten ein Haus in die Kongresshalle gesetzt, dessen Zeit noch kommen sollte.

Der lahme Start, die bald zehnjährige Anlaufphase der neuen Institution war nicht allein personellen und organisatorischen Problemen geschuldet. Kaum dass dieses Haus mit den gewaltigen Genitiven seine ersten Programme auflegte, stand Berlin unter dem Freudenschock des Mauerfalls. Da gab es nun näherliegende Themen. Mit der Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt rückte das HKW von der grünen Peripherie ins Zentrum massiver Bautätigkeit. Kanzleramt und neue Parlamentsgebäude, später auch der Hauptbahnhof verschafften ihm eine splendide Location. Mit dem schwierigen Prozess der Selbstfindung ging in unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptstadt-Umbau einher. Der „Spirit“ wurde überlagert von politischen Großbaustellen. Das HKW blieb lange Zeit ein Ort des vermeintlich Speziellen.

1989 bis 2009: zwanzig Jahre, so ereignismächtig wie ein Jahrhundert. Auf den Kollaps des Sowjetblocks, den Triumph über das Verschwinden der innereuropäischen Grenze, folgte eine Reihe schwerwiegender Katastrophen und Kränkungen für den Westen, der sich nach ’89 noch unbesiegbar gefühlt hatte – von den Terroranschlägen des 11. September 2001 bis zur Weltwirtschaftskrise, die in den USA ihren Ausgang nahm. Ein Haus der Kulturen der Welt, anfangs noch belächelte Avantgarde-Veranstaltung, sah sich plötzlich im Brennpunkt des Geschehens. Und sogleich auch überfordert von all den Fragen interkultureller, interreligiöser Spannungen und Konflikte, die bis heute die Agenda der Welt bestimmen. Francis Fukuyamas Vision vom „Ende der Geschichte“ (1992) und Samuel Huntingtons Brandrede vom „Clash of Civilizations“ (1993) gehörten zu den epochalen Theorien, an denen sich ein doch vergleichsweise kleines Haus der Kulturen der Welt abzuarbeiten hatte.

Spiegel der Welt: Ein solcher Anspruch lässt sich kaum an einzelnen Veranstaltungen messen. Mit Hans-Georg Knopp – er leitete das Haus von 1996 bis 2005 – stellten sich Dynamik ein und Kontinuität. Der intellektuelle Überbau vieler Aktivitäten des HKW, ob Asien, Afrika oder Lateinamerika, wirkte nun nicht mehr wie Ballast. Man hungerte plötzlich nach Wissen. Es ist kein Zufall, dass Knopp in seiner jetzigen Tätigkeit als Generalsekretär des Goethe-Instituts die Reform der auswärtigen Kulturpolitik vorantreibt, zusammen mit Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann. Und dass es Lehmann war, der mit der Idee des Humboldt-Forums die schlaffe Hülle des wiederaufzubauenden Berliner Stadtschlosses mit intelligentem Leben gefüllt hat, liegt ebenfalls in der sich beschleunigenden Logik der Dinge.

Kaum also hat das HKW seinen Platz gefunden, die Kongresshalle im Bewusstsein abgelöst und sich im Ausland einen guten Ruf erworben, gerät das kulturpolitische Gefüge der Hauptstadt schon wieder ins Rutschen. Es ist die Geschichte von Katalysatoren: Je wirkungsvoller sie sind, desto volatiler auch. Die Arbeit des HKW hat auf das gleichfalls international orientierte HAU ausgestrahlt, und umgekehrt. Diese beiden sind die Schnellboote unter den Tankern des Berliner Kulturbetriebs, trotz ihrer schwierigen Bauart.

Vor zwei Jahren, zum 50. Geburtstag der Kongresshalle, forderte HKW-Intendant Bernd M. Scherer, man müsse das „Projekt der Moderne zum ersten Mal wirklich ernst nehmen“. Und das meint eine Vielzahl von Modernen, nicht allein die über Jahrhunderte dominierende europäische. Kulturstaatsminister Bernd Neumann – auch er wird zum Geburtstag heute sprechen – hat Scherer in ein Gremium berufen, das sich mit der Ausgestaltung der Agora im geplanten Humboldt-Forum beschäftigt. Noch ein bastardisches Projekt: Die Berliner Sammlungen außereuropäischer Kulturen sollen in die Mitte rücken, hinter die barocke Schlossfassade. Das kann kein reines Museum werden, sondern eben ein Forum für die kulturellen Debatten dieser Welt.

Erinnert das nicht an die Anfangszeit des HKW, als man etwas erfand, um die eingestürzte und wiederaufgebaute Kongresshalle zu reanimieren? Auch dem Humboldt-Forum wird Misstrauen entgegengebracht, so wie seinerzeit dem Haus der Kulturen der Welt, das man erfinden müsste, wenn es nicht existierte. Vielleicht wird es in Berlin einmal zwei Häuser der Weltkulturen geben, in der Kongresshalle und im Schloss. Klar aber ist, wohin die Reise geht – mit Humboldts Spirit ins Offene. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich gezeigt, dass Bastarde jede Form von forcierter Reinkultur glorios überleben und überflügeln.

Zum Jubiläum hat das HKW einen internationalen Literaturpreis ausgelobt, für Autoren und ihre deutschen Übersetzer. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und zugleich das wichtigste Charakteristikum des Hauses: Dinge zu tun, die sich vernünftigerweise von selbst verstehen in einer globalen Welt. Die sonst aber niemand anpackt.

Rüdiger Schaper

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