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Kultur: Im Bauch des Wals

Es lässt sich manchmal nicht vermeiden, dass schon in der Beschreibung eines Phänomens die Bewertung mitschwingt. Wer Verlagskonzentration sagt, meint automatisch: Groß siegt über Klein.

Es lässt sich manchmal nicht vermeiden, dass schon in der Beschreibung eines Phänomens die Bewertung mitschwingt. Wer Verlagskonzentration sagt, meint automatisch: Groß siegt über Klein. Geld frisst Geist. Kapitalismus ist Kannibalismus. Abgesehen davon, dass sich sogar Kannibalen verschlucken können, kann man den jüngsten Fall - vorausgesetzt, das Kartellamt stimmt zu - damit nicht angemessen erklären. Die am Montag verkündete Übernahme des Luchterhand Literaturverlags durch Random House (unter den Fittichen von Bertelsmann) wäre ohne den dringenden Wunsch von Luchterhand, in einem Konzern aufzugehen, nicht zustande gekommen. Es ist nicht nur der Druck des Marktes auf einen mit 14 Angestellten und zehn Millionen Mark Umsatz mittelgroßen Verlag, seine Unabhängigkeit aufzugeben, der zum Verkauf an Bertelsmann geführt hat. Er hat auch mit einem seiner kulturellen Aktivitäten müde gewordenen Besitzer zu tun: mit dem Münchner Anwalt Dietrich von Boetticher. Die Leichtigkeit, mit der er sich in die Verlagswelt glaubte einkaufen zu können, erwies sich als trügerisch. Die "Wochenpost", die er 1994 von Gruner + Jahr erwarb, überlebte nur ein gutes Jahr. Und der renommierte DDR-Verlag Volk & Welt versank dieses Frühjahr im Backlist-Koma - im Rückblick eine verkaufsvorbereitende Maßnahme für Luchterhand als das im Verhältnis lukrativste Projekt, dem Boetticher auch am längsten - sieben Jahre - verbunden blieb.

Zwei Schlussfolgerungen sind möglich, und sie vertragen sich nicht unbedingt miteinander. Unabhängigkeit, lautet die erste, ist etwas für Charismatiker, Dickköpfe und Literaturnarren. Nur weil bei Hanser Michael Krüger die Geschäfte führt, hat der Verlag bisher allen Konzernbegehrlichkeiten widerstanden. Nur weil bei Suhrkamp Siegfried Unseld und bei Wagenbach Klaus Wagenbach entscheiden, erübrigt sich dort der bloße Gedanke an Verkauf. Die zweite aber könnte heißen: Im Bauch des Wals, wo es warm ist und geräumig, haben auch schwierige Autoren auf Dauer die größte Zukunft. Der ebenfalls bei Bertelsmann untergekrochene Berlin Verlag scheint das zu beweisen. Und das Profil, das Luchterhands Programm-Geschäftsführer Gerald J. Trageiser mit Autoren wie António Lobo Antunes, Joshua Sobol, Ernst Jandl und Christa Wolf entwickelt hat, lässt sich am besten mit der Infrastruktur eines Konzernriesen im Rücken weiter schärfen. Der klassische Verleger und der moderne Manager brauchen einander. Vielleicht mehr, als ihnen lieb ist.

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