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Kultur: Im Interview: Chuck Close

gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart.Seine monumentalen Porträts malt der 1940 in Monroe, Washington, geborene Künstler seit fast 30 Jahren.

gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart.Seine monumentalen Porträts malt der 1940 in Monroe, Washington, geborene Künstler seit fast 30 Jahren.Manche seiner Bilder, darunter etwa die drei mal 6,5 Meter messende "Big Nude" waren so groß, daß sie nur mit Hilfe eines hochgefahrenen Gabelstaplers in luftiger Höhe angefertigt werden konnten.Der in New York lebende Close stellt diese Gesichter mit einer gnadenlosen Genauigkeit dar, die jede Pore, jeden Pickel wie unter einer Lupe präsentiert.Seit einer Erkrankung vor zehn Jahren kann der heute querschnittsgelähmte Künstler nur noch mit Hilfe einer Manschette arbeiten, mit der er den Pinsel hält.Berlin waren Arbeiten von Close zuletzt im Rahmen einer Fotoausstellung der Galerie Franck & Schulte zu sehen, die Vorlagen der Großporträts präsentierte.Nach dem Start einer Ausstellungstournee im Museum of Modern Art in New York ist seine Retrospektive gegenwärtig im Museum of Contemporary Art in Chicago (bis 13.September).

TAGESSPIEGEL: Mr.Close, Sie haben gerade wieder eine vergrößerte Polaroid-Aufnahme als Vorlage vor sich, nach der Sie großformatige Porträts anfertigen.Seit fast dreißig Jahren malen Sie nur Porträts.Was fasziniert Sie an diesen Gesichtern so? Ist das Thema nicht allmählich erschöpft?

CLOSE: Na ja, wenn mir jemand vor 25 Jahren prophezeit hätte, daß ich heute immer noch Porträts malen würde, hätte ich das wohl nicht geglaubt.Ich habe aber im Laufe der Zeit die ungeheure Faszination des menschlichen Gesichts entdeckt.Ich glaube, ich finde Menschen einfach interessanter und spannender als alles andere.

TAGESSPIEGEL: Da Sie jedes Gesicht erst fotografieren und dann nach der Polaroid-Vorlage Porträts malen, scheint es Ihnen vor allem um möglichst große Genauigkeit zu gehen.Warum kritisieren Sie das Etikett "Fotorealismus", das Ihnen sehr früh verpaßt wurde?

CLOSE: Mit diesem Realismus-Begriff habe ich große Probleme, weil mich vor allem die Künstlichkeit interessiert, nicht die Wirklichkeit.Für mich steht der Schaffensprozeß im Vordergrund, die Tatsache, daß ich etwas anfertige, das mit dem äußeren Schein nicht übereinstimmt.Meine Bilder sind ja keine Fotos, sondern Ölgemälde.Ich benutze ganz unterschiedliche Techniken: Früher arbeitete ich noch häufiger mit "airbrush" und den in Farbe getauchten Fingerkuppen, der "fingerprint"-Technik.Aber in den letzten Jahren habe ich fast nur noch mit einer pointillistischen Tupftechnik gearbeitet.Mir geht es nicht um das Innenleben oder um die Seele der Porträtierten; das alles muß der Betrachter schon selbst in das Bild hineininterpretieren.Viel wichtiger als das Gefühlsleben meiner Figuren sind für mich die stilistisch-technischen Umwege, auf denen ich zeigen kann, wie künstlich die Darstellung eines Gesichts letztlich ist.

TAGESSPIEGEL: Trotzdem ist der verblüffende Wiedererkennungseffekt der Porträts nicht zu leugnen.Unter Ihren Bekannten sind ja genügend prominente Künstler wie etwa der Kollege Roy Lichtenstein, der Komponist Philip Glass oder der Dramatiker John Guare, die Sie alle porträtiert haben und die auf den ersten Blick zu erkennen sind.So abwegig scheint dieser Realismus-Begriff vielleicht doch nicht zu sein.

CLOSE: Ehrlich gesagt interessiert mich diese Debatte nicht mehr.Darüber wurde nun seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten, spekuliert.Ich hoffe jedenfalls, daß die Betrachter über ihre eigene Lebenserfahrung einen Bezug zu meinen Werken herstellen und nicht über irgendwelche Schubladen mit griffigen Labels.Die Freunde, die ich porträtiere, bedeuten mir natürlich sehr viel.Und dementsprechend wichtig sind für mich auch die Porträts von ihnen.Aber ich bin in erster Linie Künstler und konzentriere mich darauf, mit welcher Technik ich ein Bild anfertige.Ich bin kein naturalistischer Dokumentarist, sondern eher eine Art Spurenverwischer, der dem Betrachter möglichst komplexe Rätsel aufgeben will.Ich vertusche nämlich mit ganz unterschiedlichen Mitteln jeden Hinweis auf meine Absichten.Ich weiß schließlich, wenn ich zu malen anfange, wie mein Bild am Ende aussehen wird.Daher besteht die Faszination für mich darin, auf möglichst kompliziert zu diesem fertigen Bild zu gelangen.Bei mir muß der Betrachter schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, welchen Weg ich eingeschlagen habe.Diese Spurensuche ist dann so ähnlich wie bei Hänsel und Gretel, die ihre Brosamen verstreuten.Ich betätige mich jedenfalls nicht als Oberlehrer, der einen Kreis um einen Bildausschnitt malt und mit erhobenem Zeigefinger doziert: Seht her, das hier ist wichtig!

TAGESSPIEGEL: Zerlegen Sie deshalb Ihre Motive in Raster und Planquadrate, um so ganz minutiös die Entwicklung dieses kreativen Vorgangs nachvollziehen oder auch vertuschen zu können? Steckt dahinter nicht doch wieder die Auseinandersetzung mit der Genauigkeit der Fotografie, die Sie einerseits erreichen, andererseits aber künstlerisch überhöhen und mit einer individuellen Aura ausstatten?

CLOSE: Na ja, mir erleichtern die Raster und Quadrate den Weg zum Ziel.Für mich ist dieser Schaffensprozeß mit einem Gang über den Golfplatz vergleichbar.Ähnlich wie beim Golf macht der Maler einige diskrete Manöver, um etwaige Fehler zu korrigieren und vom allgemeinen Gesamtüberblick zum ganz speziellen Detail zu gelangen.Es geht ja auch um einen Entscheidungsprozeß.Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, um zum Ziel, dem gewünschten Gesamteindruck zu gelangen.Das Abenteuer besteht im Weg.Anstatt direkt dorthin zu marschieren, nehme ich gern Umwege in Kauf.Also verwende ich in einem Quadrat absichtlich eine falsche Farbe, die ich dann wieder im anderen Quadrat korrigiere.Aber dann hinterlasse ich eine diskrete Spur, die man über diese Raster nachverfolgen kann.Ob der Betrachter diese Spur dann auch aufnehmen und verfolgen will, ist völlig nebensächlich.

TAGESSPIEGEL: Sie haben während Ihres sieben Monate langen Krankenhausaufenthaltes nie aufgehört zu arbeiten und sich wohl auch deshalb den Ruf eines Monomanen eingehandelt.Aber abgesehen davon scheinen Sie auch kompromißlos zu sein, was die Präsentation Ihrer Werke im Rahmen größerer Ausstellungen betrifft.Ihre derzeitige Retrospektive sollte ja ursprünglich im New Yorker Metropolitan Museum stattfinden ...

CLOSE: Das stimmt.Was den Krankenhausaufenthalt angeht, so stellte sich nie die Frage, ob ich mit meiner Arbeit aufhören sollte.Ich fühlte mich damals völlig einsam und allein gelassen, denn diese Lähmung überfiel mich ja aus heiterem Himmel.Da war das Malen für mich neben meiner Familie der einzige Trost.In dem deprimierenden Krankenhaus-Ambiente fühlte ich mich erst einigermaßen wohl, als ich mir die Manschetten als Pinselhalter fabrizierte und meine Hände doch noch benutzen und malen konnte.Das Malen war dann Bestandteil meiner Therapie.Was die Ausstellungen betrifft, so ist es wahr, daß ich mir tatsächlich sehr genaue Gedanken über die jeweilige Präsentation meiner Bilder mache und auf einer chronologischen Reihenfolge bestehe.Vor jeder Ausstellung fertige ich mir ein Modell der jeweiligen Räumlichkeiten an, so daß ich genaue Vorstellungen von den Dimensionen und der möglichen Anordnung der Bilder habe.Das Metropolitan Museum wollte sich nicht an meine Vorgaben für eine chronologische Anordnung halten, da machte ich meine Einwilligung eben wieder rückgängig und kooperierte lieber mit dem Museum of Modern Art, mit dem es eine sehr harmonische Zusammenarbeit gibt.

TAGESSPIEGEL: Da Sie schon in den sechziger Jahren mit ganz neuen Techniken experimentierten und mit Pop-art-Künstlern wie Roy Lichtenstein oder Andy Warhol in einem Atemzug genannt wurden, hält man Sie für einen Avantgardisten, der mit den alten Meistern wenig im Sinn hat.Stimmt das?

CLOSE: Ich finde, Pop-art-Künstler wie Roy Lichtenstein, Willem de Kooning und Andy Warhol waren enorm wichtig, weil sie in den sechziger und siebziger Jahren der nicht-abstrakten Malerei eine Dringlichkeit verliehen, die sie absolut modern machte.Die schleppten nicht fortwährend diesen ganzen Bildungsballast mit sich herum oder waren etwa auf die Prä-Raffaeliten fixiert, sondern sie machten aus konkreten, erkennbaren Motiven wieder eine akzeptable Alternative.Die alten Meister begleiten mich heute zwar auch noch und gucken mir immer kritisch über die Schulter, aber man muß sich manchmal auch von ihnen trennen können.

PETER MÜNDER

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