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Ersatzvater. Nikola (Eldar Residovic) will seinen Ball wiederhaben, der NGO-Teamchef Mambrú (Benicio del Toro) hilft ihm.

© X-Filme

Im Kino: "A Perfect Day": Böse Mine, gutes Spiel

Männer, die auf Leichen starren: die tolle Kriegsgroteske „A Perfect Day“ mit Benicio del Toro und Tim Robbins.

Helfen kann der Wahnsinn sein. Engagement bis zur Erschöpfung, Ackern in Absurdistan, Sisyphos-Arbeit – die hauptberuflich Betrauten und ehrenamtlichen Schichtdienstler in den Flüchtlingsheimen und Anlaufstellen dieser Tage können ein Lied davon singen. Auch wenn er 1995 spielt, irgendwo auf dem Balkan: „A Perfect Day“ ist der Film zur Stunde. Eine rabenschwarze, saukomische, bewegende Groteske über den Kraftakt, Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten zu bewahren. Und über den Humor als Lebensnotwendigkeit angesichts von Krieg, Hass und Tod.

Darf man das, lachen über Kriegsopfer? Wenn man kann, schon

Es fängt an mit einer Leiche. „Aid across borders“ heißt die Hilfsorganisation, deren internationales Team am Ende des Bosnienkrieges die Trinkwasserversorgung in einer abgelegenen, überwältigend schönen Bergregion gewährleisten soll. Drei Brunnen gibt es, zwei sind vermint, der dritte ist verseucht, ein dicker Toter liegt darin. Vielleicht haben die Nachbarn, die jetzt Feinde sind, ihn absichtlich dort deponiert. Oder regionale Geschäftemacher, die mit Wassertanks über die Dörfer fahren und sechs Dollar pro Liter kassieren. Als die NGO-Leute die Leiche hochziehen, reißt dummerweise das Seil. Ein anderes muss her.

Nicht dass es im Gebirge keins gäbe. Das erste bekommen sie nicht, weil der Laden von Anhängern der gegnerischen Kriegspartei geführt wird. Am zweiten hängt eine Flagge, von einem Soldaten bewehrt. Am dritten hängt ein bissiger Hund, an den nächsten baumeln Leichen... Was für ein Plot: 105 Spielfilmminuten lang versuchen der pragmatische, von jahrelanger Plackerei zermürbte Teamchef Mambrú (Benicio del Toro), sein zynisch-cooler Kollege B. (Tim Robbins), die tapfere französische Novizin Sophie (Mélanie Thierry), der allseits bedrohte Dolmetscher Damir (Feđa Štukan) und die attraktive Controllerin Katya (Olga Kurylenko, das Bond-Girl aus „Ein Quantum Trost“) nichts anderes, als ein Seil aufzutreiben. Was am Ende, Stichwort Sisyphos, vergeblich gewesen sein wird. Außerdem wollen sie einen Ball für den Jungen Nikola (Eldar Residovic) beschaffen, weil er von seinen Eltern zurückgelassen und von Kindersoldaten bestohlen wurde. Ein Seil, ein Ball: mission impossible.

Darf man das, lachen über Kriegsopfer? Über Männer, die auf Kühe starren, selbstredend tote Kühe, die den Weg versperren, um die beiden Team-SUVs auf die Mine neben dem Kadaver umzulenken? Wetten, die Mine liegt links, weil der Feind darauf spekuliert, dass wir denken, sie liegt rechts? Oder anders herum? – Ach, das mit der Brunnenleiche hätte schlimmer kommen können, manchmal sind sie zerstückelt, das verseucht noch schneller. Andererseits, sie lässt sich dann leichter herausfischen. – Wie, Sophie, das ist deine erste Leiche? Mach dir nichts draus, das ist ist wie der erste Sex, man vergisst es nie, sagt B, um kurz darauf einen Impro-Monolog über das Seil hinzulegen, Seilschaften, Seilstädte, das ganze Programm.

Knallhart wie die Arbeit der NGO: Regisseur de Aranoa wählt Punkrock als Soundtrack

So geht es in einem fort, im direkten Dialog oder über Walkie Talkies zwischen den Autos. Der spanische Drehbuchautor und Regisseur Fernando León de Aranoa("Princesas") hat ein virtuos lakonisches, von großer Empathie getragenes Drehbuch geschrieben, das die surrealen Seiten des Kriegs aufs Korn nimmt und ihm gleichzeitig Bilder des Leidens abtrotzt. Etwa den Gang durch Nikolas zerstörtes Elternhaus, das Essen steht noch auf dem Tisch, von Ungeziefer zerfressen, die Koffer sind gepackt, der Wagenschlüssel steckt ...

Im Gegenzug dann der bürokratische Zuständigkeitswirrwarr im UN-Hauptquartier, zwischen Blauhelmen und NGOs, später zwischen Friedensverhandlern und versprengten, rachsüchtigen Soldaten. Trinkwasserverseuchung? Zivilisten dürfen keine Leiche berühren, Befehl ist Befehl. Dazu Punkrock als Soundtrack, knallhart und nervenaufreibend wie der Alltag des Hilfsteams.

Tim Robbins spielt B, den zynischsten im NGO-Team. Der Meister der abgefahrenen Sprüche lässt sich nicht entmutigen.

© X-Verleih

Regisseur de Aranoa nennt „A Perfect Day“ ein Drama „innerhalb einer Komödie innerhalb eines Roadmovies innerhalb eines Kriegsfilms“. Anders als mit einer derart kruden Mischung ist der Wahrheit des Kriegs kaum beizukommen. Wobei de Aranoa den Wahnwitz nahe an der Realität ansiedelt – er hat in Bosnien und Uganda Reportagen über NGOs gedreht.

Benicio del Toro als Mambrú und Vater-Ersatz für Nikola: desillusioniert, erschöpft, nie entmutigt. Tim Robbins als Meister der makabren Sprüche. Mélanie Thierry, die verschreckte Neue, die vor den UN-Autoritäten im Headquarter ungeahnte argumentative Schlagkraft entwickelt. „A Perfect Day“ ist auch ein großartiger Ensemblefilm, dessen Schauspieler ihre Kunst in den Dienst all der pragmatischen, stoisch-komischen Ritter stellen, lauter Don Quijotes, die gegen Windmühlen kämpfen. Vor Ort sein und etwas versuchen, das sei Heldentum, sagt der Regisseur. Im Rathaus Wilmersdorf, bei „Moabit Hilft“, überall in Deutschland gibt derzeit Leute, die wissen, was er meint.

In elf Berliner Kinos. OmU im Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Neues Off. OV: Cinestar SonyCenter

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