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Angst in seinen Augen. Der deutsche Soldat Guido (Jonas Nay). farbfilm verleih

© farbfilm verleih

Im Kino: "Unser letzter Sommer" von Michal Rogalski: Die Front in uns

Ganz jung sein mitten im Krieg: Michal Rogalskis sensibles Kinodebüt „Unser letzter Sommer“ führt ins Ostpolen des Jahres 1943.

Bring ihn um, ruft das jüdische Mädchen Bunia mit schreckgeweiteten Augen, erschieß ihn, mach schon, mach! Aber der polnische Junge Romek zögert, das Gewehr in der Hand. Es ist das Gewehr des deutschen Soldaten, der eben noch damit auf ihn angelegt hatte und nicht schoss – unbegreiflich die Scheu dieser Jungs, aufeinander zu schießen, widersinnig die Milde für den Deutschen, findet Bunia und macht Romek Vorwürfe: Wenn du wüsstest, wie sie in Warschau wüten, dann hättest du den nicht verschont!

Romek aber weiß nicht, wie die Deutschen vor ein paar Wochen den Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen haben, wir sind im Ostpolen des Jahres 1943, mitten in einem verschwenderisch leuchtenden Sommer, fern von der Hauptstadt und ihren unterdrückten großen Nachrichten, fern von der Front. Richtig, da ist der deutsche Trupp, der in den Wäldern Jagd macht auf Juden und Verdächtige aufspürt, die sich etwa in riesigen Heuhocken verstecken, und dann brennt das so furchtbar schön. Und da sind die merkwürdigen Fundstücke an der Bahnlinie, die Romek als Heizer einer Rangierlok manchmal auf seinen Fahrten aufliest, Koffer mit Fotoalben, Kleidungsstücke auch, Jacken, Halstücher, immer wieder sind sie blutdurchtränkt. Schlimme Wegzeichen – aber wenn man jung ist, dann will man ins Leben hinein und in die Liebe, dann will man auch der eingedunkeltsten Zeit ein Restlicht abtrotzen, koste es, was es wolle.

„Unser letzter Sommer“ heißt das anrührende Kinodebüt des Polen Michal Rogalski, und der Titel ist wörtlich zu nehmen: Vom Abschied handelt er, bevor eine durchdringende Kälte kommt, und von einer Gemeinsamkeit, die es in jener Zeit und in jener Weise gar nicht geben darf. Guido, der deutsche Soldat und noch ein halbes Kind, vorzeitig eingezogen zur Armee wegen Hörens „entarteter“ Jazzmusik, verschont Romek, den er mit eingesammelten Sachen am Bahndamm erwischt. Romek wiederum schießt Guido nicht über den Haufen, Guido, der wiederum Bunia lebensgefährlich werden könnte – Bunia, die Romek bald um ein Versteck bitten wird. Und Guido selber hat sich in die Polin Franka verliebt, die in der Feldküche des deutschen Trupps arbeitet, auch das verboten, verboten, verboten.

Menschen, keine Kriegsmaschinen

So könnte es gewesen sein: Jugend, damals, trotz allem. Rogalski führt seine zart kriegsuntauglichen Figuren behutsam zusammen, immer dicht an der Kante zum nächstbesten Tod. Und allesamt entfernen sie sich auf ihre Weise von der Front eindeutiger Zugehörigkeiten. Romek ist angewidert von dem Lokführer Leon, der sich bei seiner Mutter eingenistet hat und mit der Beute aus den Güterzügen schwungvoll Handel treibt. Und Guido passt überhaupt nicht zu seinen Kameraden und Vorgesetzten, zum zackigen Feldwebel und dem fiesen Oberleutnant, der den Zug befehligt. Ja, Romek und Guido gehören verfeindeten Lagern an, aber verhalten sich zumindest zueinander nicht wie Feinde. Sie sind weich, noch nicht zu mordlustigen Männermaschinen des Krieges geformt. Noch sehen sie im anderen, sehr gefährlich für sich selber, den Menschen.

Ist das nostalgisch verkitscht, wie jetzt eine süddeutsche Zeitung streng befand? Oder richtet Rogalski nur einen – fraglos verletzlichen – anderen Blick auf den in nunmehr sieben Jahrzehnten weidlich ab- und ausgefilmten Krieg, ähnlich sensibel wie etwa Ralf Rothmann in seinem jüngsten Roman „Im Frühling sterben“? Der Film führt ein paar Jugendliche unterm Radar der Ideologien zusammen, bevor sie zwangsläufig grässlich auseinandergerissen werden – und nichts spricht dagegen, sich mit ihren leise verknüpften Schicksalen anzufreunden, zu lesen in den noch nicht durch Hass ausradierten Gesichtern von Guido (Jonas Nay), Romek (Filip Piotrowicz), Bunia (Maria Semotiuk) und Franka (Urszula Bogucka). Auch die deutschen Etappen-Militärs, gespielt unter anderem von André Hennicke und Steffen Scheumann, machen ihre Sache gut, also: nicht sofort eindeutig böse.

So kann Krieg plötzlich da sein in jedem, sagt „Unser letzter Sommer“, und jeden zwangsverwandeln, jederzeit. Und lässt einen das unaufdringlich fühlen. Das ist einiges, das ist viel.

In Berlin in den Kinos Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Krokodil, Tilsiter-Lichtspiele (alle OmU)

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