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Kultur: Im kleinen Grenzverkehr

„Mauersprünge“: eine Ausstellung über den deutsch-deutschen Kulturaustausch

Von David Ensikat

Draußen, vor dem Gropiusbau, wo die Touristenbusse warten, gibt es noch ein echtes Stück Mauer zu fotografieren. So was macht Eindruck. Das steht da, wo es schon früher stand, auch wenn es ein bisschen angenagt ist. Da kann sich der Japaner und der Amerikaner danebenstellen und nicht hinübergucken, da kann er sich wundern: So was stand hier kilometerlang, mitten in der Stadt? Komische Stadt. Komisches Land.

Der Berliner muss sich das hier draußen nicht angucken, er kann sich gut genug an die echte Mauer erinnern, wie hoch sie wirklich war und wie glatt. Wie unüberwindbar. Der Berliner muss hineingehen, in die Ausstellung im Gropiusbau. Da erfährt er, wie überwindbar sie war, die Mauer. Für Künstler und die Kunst jedenfalls.

„Mauersprünge“ heißt die Ausstellung, und das meint nicht nur die Sprünge, die die Künstler, die privilegierten und die verfemten aus dem Osten, die interessierten und die ideologisierten aus dem Westen, über die Mauer hinweg unternahmen – es meint auch die Sprünge, die eben jene Künstler der Mauer zugefügt haben.

„Kunst ist Waffe“ – da waren sich die DDR-Ideologen stets sicher – und hätten ihre Künstler am liebsten nur Waffenkunst erschaffen lassen, Kunst also, die nichts mit der anderen Seite zu tun hat, Kunst, die Partei ergreift für ihr halbes, sozialistisches Deutschland. Vor vier Jahren tat eine Weimarer Ausstellung so, als hätten die DDR-Ideologen ihr Ziel erreicht. Als hätte der Osten nichts als einen bunten Haufen wertloser Parteipinselei hervorgebracht, dessen Funktion man nur versteht, wenn man ihn mit Nazi-Kitsch vergleicht.

Das hat neben vielen anderen auch zwei Männer sehr erregt, die bald darauf beschlossen: Wir machen eine Ausstellung, die das Gegenteil behauptet. Wir betrachten die DDR-Kunst als ein Ding, das man nur mit dem „Klassenfeind“ verstehen kann, der ja gar kein Feind, sondern vielmehr ein Ideen, Publikum und Asyl liefernder Freund war. Bernd Lindner vom Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig und Rüdiger Thomas von der Bundeszentrale für Politische Bildung initiierten eine Doppelausstellung, die jetzt als Einzelausstellung endlich da angekommen ist, wo sie am besten hinpasst: in der Stadt der Mauer. Dass jener Teil, der kommentarlos die Bilder aus Ost und West zeigte, hier nicht angekommen ist, liegt allein am Geld: Zusätzliche Stellwände, längere Leihzeiten und Versicherungen kann man sich nun nicht mehr leisten. Was bleibt, ist die um einige Bilder erweiterte Exponatenschau, die Stück um Stück enthüllt, wie rege, wie mühsam und auch wie absurd das künstlerische Miteinander in der absurden Zeit der Teilung war. Sie zeigt auch, wie weit sich DDR-Kunst von der offiziellen DDR entfernen konnte.

Da hängt ein Ausstellungsplakat, das Manfred Butzmann (Ost) für eine DDR-Ausstellung von Klaus Staeck (West) entworfen hat: Er zitiert ein Staeck-Zitat, „Die Gedanken sind frei“, und zwar: „vom 3.12. bis zum 19.12.81“. Die DDR-Altvorderen waren der Meinung, dass die Gedanken auch davor und danach frei seien – und haben das Plakat verboten. Und dann hängt da auch ein netter Brief an der Wand, den Peter Hacks (Ost) an Ronald Schernikau (West, mit Übersiedlungsabsicht) geschrieben hat: „Ihre Frage, ob die DDR zum Vaterland zu wählen ist, ist bis zu einem gewissen Grad beantwortbar. Falls Sie vorhaben, ein großer Dichter zu werden, müssen Sie in die DDR; sie allein stellt Ihnen – auf ihre entsetzliche Weise – die Fragen des Jahrhunderts. Sollte hingegen Ihr Talent darin liegen, Erfolg zu haben und Menschen zu erfreuen – in dem Fall freilich würde ich mir einen solchen Entschluss noch überlegen.“ Schernikau wollte großer Dichter werden, zog in den Osten und durfte sein erstes Buch nicht veröffentlichen.

Wer bereit ist, viel zu lesen, kann in der Ausstellung jede Menge solcher Geschichten aus einer merkwürdig entfernten, nahen Welt erfahren. Wer herkommt, um sich allein von der Aura der Objekte beeindrucken zu lassen, ist schnell durch. Da gibt es den zersägten und nun wieder zusammengefügten kleinen Biermann-Tisch – eine Hälfte blieb im Osten, eine ließ er sich in den Westen schicken. Da gibt es die Schalmei, die Honecker Udo Lindenberg schenkte, neben der Lederjacke, die dieser jenem übergab, und da hängt das offizielle T-Shirt zur BAP-Tournee durch die DDR, die niemals stattfand, weil die Westbarden ein allzu ehrliches Lied singen wollten. Sonst sind da viele Bücher, viele Ostpässe mit vielen Stempeln drin und auch etliche Bilder mit der Mauer drauf.

Am beeindruckendsten ist vielleicht jener Raum, der mit dem eigentlichen Ausstellungsthema nur mittelbar zu tun hat: Es geht um die Verunsicherung durch die Stasi, und der Besucher läuft durch ein dunkles Labyrinth aus schrägen Wänden, in dem es ihm ganz blümerant wird. Doch am wichtigsten ist vermutlich eine Installation, die den rechtschaffenen Kulturschaffenden von hüben und drüben ein Graus sein muss: eine DDR-Plüschsitzgarnitur mit Fernseher davor, in dem „Westen“ läuft. Im Vergleich zu diesem Kulturexportartikel waren Christa Wolf und Joseph Beuys ein nettes Nichts.

Auch wenn es der Ausstellung um ein vermeintlich gesamtdeutsches Phänomen geht, ist sie doch eine DDR-Ausstellung: Wen, bis auf die Hand voll Heiner-Müller- und Christa-Wolf-Fans hat der Ostkram schon im Westen interessiert? Andersrum war’s anders. In Leipzig haben 30 000 Leute die Ausstellung gesehen, in Essen nur ein Drittel davon. In Berlin wird man die Besucherzählung nicht nach Ost- und Westgeborenen unterteilen können. Die Zeit hat uns alle, Künstler oder nicht, zu Mauerspringern werden lassen. David Ensikat

„Mauersprünge“ im Martin-Gropius-Bau, (Niederkirchnerstr. 7), bis 4. Mai, Mi-Mo 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei. Der sehr gute Katalog (Faber & Faber) kostet 20 Euro.

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