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Kultur: Im Sammelband "Mutanten" streifen dreizehn Cartoonisten die Zwangsjacke ab

Avantgarde ist, wenn man auf die Pauke haut. "Häuserklump Simultankonzert, Kulturschwindel, Erotik und Kalbsbraten": In den Manifesten der Berliner Dadaisten purzelten die Begriffe durcheinander wie aus dem Nest gefallene Vögel.

Avantgarde ist, wenn man auf die Pauke haut. "Häuserklump Simultankonzert, Kulturschwindel, Erotik und Kalbsbraten": In den Manifesten der Berliner Dadaisten purzelten die Begriffe durcheinander wie aus dem Nest gefallene Vögel. Was für ein Gegacker! Achtzig Jahre später hat der Hamburger Zeichner Martin tom Dieck die aus den Texten von Richard Huelsenbeck, Walter Mehring und George Grosz gestürzten Worte aufgesammelt und zu Buchstaben-Bändern gruppiert, die nun in Reih und Glied durch die Bilder seines Comics "Dada" marschieren. Die hingetuschten Monokel-Männer recken umstürzlerisch das Kinn, Asphaltgestalten schleichen durchs Großstadt-Labyrinth. Besser hat das George-Grosz-Berlin nur George Grosz selber gezeichnet. Avantgarde heißt, seiner Zeit soweit voraus zu sein, dass man geradewegs in der Vergangenheit rauskommt.

Martin tom Dieck ist einer von den 13 Comiczeichnern, die das Buch "Mutanten", der Begleitband einer Düsseldorfer Ausstellung, vorstellt. Anna Sommer inszeniert ihre Alltags- und Beziehungsdramen in Buntpapierschnitt und Kalknadelradierungen. Thomas Ott kratzt düstere Pulp-Fiction-Stories aus schwarzem Schabkarton. Christian Huth wirft knallbunte Kopffüssler auf Pappe und Leinwand, als wäre sie von Dubuffet. Und Anke Feuchtenberger strichelt ihre somnambulen Nachtwesen in zitternden Linien, die von einer inneren Erregung durchglüht zu sein scheinen. Was die Vertreter des neuen deutschen Autorencomics eint, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in den Arsenalen der Kunstgeschichte genauso wie bei den Traditionen des Mainstream- oder Unterground-Comics bedienen. "Die wirtschaftliche Krise der frühen neunziger Jahre hat den Comic gerettet", schreibt Christian Gasser in seinem Vorwort: "Die Zeichner befreiten sich aus ihren Zwangsjacken.

Mutanten sind Irrläufer der Evolution, den Rasse-Züchtungen bisweilen haushoch überlegen. Bei M.S. Bastian hat die Mickey-Maus kaputte Zähne und einen irren Blick. Dann fliegt sie in die Luft. Kawumm!Christian Gasser (Herausgeber): Mutanten. Die deutsch-sprachige Comic-Avantgarde der neunziger Jahre. Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 1999. 160 Seiten, 236 Abbildungen, 78 DM.

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