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Schillernde Andersheit. Mario (Thomas Prenn) will aus dem Dorfleben ausbrechen.

© Salzgeber

Debütfilm „Hochwald“ im Kino: Im Tal des queeren Begehrens

Mit „Hochwald“ legt Evi Romen ihr Regiedebüt vor. Es erzählt von einer schwulen Liebe auf dem Land, die durch eine Tragödie erschüttert wird.

Mario reißt die Arme hoch, dreht sich, biegt seinen Körper. Beim Tanzen, allein in der Schulaula oder zwischen Weihnachtsdeko und Springbock, bleibt nichts in seiner Form. Kostüme wechseln, die Posen, alles fließt und wirbelt: Rüschenhemd, Satinhose, Rockabilly-Kleid, Glitzeranzug, Travolta-Style, Vogueing, Ballettschritte. Mario (Thomas Prenn) ist in seinem Element. Tagsüber arbeitet der junge Mann in der örtlichen Metzgerei und kehrt das Blut in den Abfluss.

Die Anfangssequenz von „Hochwald“ setzt den Ton. Im Regiedebüt der österreichischen Editorin Evi Romen (sie arbeitet unter anderem mit Wolfgang Murnberger und David Schalko) geht es um fluide Identitäten und die Suche nach Selbstausdruck im Spiel größtmöglicher Kontraste: Bewegung und Starre, Expansion und Enge, Flamboyanz und dörflicher Muff. „Hochwald“ spielt im gleichnamigen Südtiroler Bergdorf, in einem Umfeld, das für Uneindeutigkeiten keine Begriffe hat. Hier kann einer wie Mario – ein junger Vater, aber irgendwie mehr schwul als hetero – nur ein Störfaktor sein.

[In den Kinos Klick, Wolf, Xenon]

Die Handlung beginnt um Weihnachten, wenn sich das Soziale noch mehr verdichtet. Nach der Kirche geht es zur Disco im Pfarrsaal, es wird gesoffen und getanzt, ein Schlager von Ricky Shane weckt vergangene Intensitäten. Vor allem zeigt sich, wer „eh da ist“ und wer nur kurz bei der Familie vorbeischaut. So wie Marios Jugendfreund Lenz (Noah Saavedra), der Schauspiel studiert und gerade auf dem Sprung nach Rom ist. Seine Anziehung hat auch mit seinen Möglichkeiten zu tun. Als Winzersohn stehen ihm Wege offen, von denen Mario nur träumt. Eine Tanzausbildung ist in seiner Biografie nicht vorgesehen. Er blieb wie schon sein Vater im Dorf hängen, jobbt gelegentlich in Gaststuben; die Konditorlehre hat er abgebrochen.

„In Wien sind alle schwul“, weiß Lenz, als Mario seinem Kuss ausweicht. Das erotische Begehren zwischen den beiden Männern ist kompliziert, es scheint, als mache gerade das ewig Unerfüllte ihre Verbundenheit aus. Mit einer radikalen Wendung wird die zaghafte Beziehungsgeschichte dann aber buchstäblich gesprengt. Als Mario Lenz nach Rom nachreist, kommt es in einer queeren Bar zu einem islamistischen Terroranschlag.

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Dem Überlebenden Mario haftet zur Außenseiterrolle nun auch das Stigma eines „Wunders“ an, bei dem es womöglich nicht ganz gerecht zuging. „Wieso ist der Lenz tot und nicht du?“, fragt die Mutter des Opfers. Eine Frage, die sich auch zunehmend Mario stellt. Auf der Suche nach Antworten betäubt er sich mit Drogen, das Heroin gibt es unten im Tal am Bahnhof. Dort findet er auch Kontakt zur islamischen Glaubensgemeinschaft, die sich dem Verlorenen weitaus herzlicher annimmt als der Pfarrer. Dass ausgerechnet er sich mit den „Muselmandln“ herumtreibt, macht ihn in den Augen der Hochwäldler endgültig zum Freak.

Die Konstruktion des Drehbuchs, die das Alpine mit der globalen Gesellschaft verbindet, gibt dem Film seine prägnante Form. Evi Romen geht es nicht um Milieutreue, sondern um eine Verqueerung des Heimatfilms. Wo das Genre seine Überhöhung üblicherweise in Landschaftsbildern findet, richtet sie den Blick auf exzentrische Gesten und traumähnliche Momente. Dabei geht das Aufbrechen von Identitäten weit über Geschlechtergrenzen hinaus. Die islamische Community etwa wirkt eher wie ein Hippieverein mit Streetworker-Kompetenzen.

Kleidungsrituale werden zu Stationen einer schwierigen Selbstfindung, dabei spielt eine Weißhaarperücke eine tragende Rolle. Anfangs noch ein schräges Accessoire, mit dem man sich ins Rampenlicht setzen kann, wird sie für Mario zur offensiven Markierung seiner schillernden Andersheit.

Esther Buss

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